Ein paar kurze Worte...
...über die Welt und auch ein bisschen über mich
Sonntag, 17. Februar 2008
Am See
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Geschrieben am Sonntag, 17. Februar 2008
Dick eingemummt in Winterjacke, Schal und warmen Stiefeln stapfte ein Mädchen im Abendlicht hinunter zum See. Im tiefen Schnee sank sie bei jedem Schritt ein und hinterließ eine einsame Fußspur auf dem frisch zugeschneiten Weg zwischen den kahlen Bäumen. Sie hatte es nicht eilig, doch ihr Ziel war klar. Sie wollte weg von den Leuten, allein sein. Sie wollte dorthin, wo sie ihn im Sommer so oft gesehen hatte, wo er sie angelächelt hatte. Dort, auf der Bank am Seeufer, wollte sie heute Abend bleiben und an ihn denken. Es war kalt, doch das war nicht von Bedeutung.
Die Menschen oben im Dorf waren vermutlich wieder auf dem Heimweg. Es hatte nicht lange gedauert. Viele waren gekommen und alle waren sie bestürzt. Niemand von ihnen hatte damit gerechnet, dass er so früh von ihnen gehen würde.
Das Mädchen wusste, weshalb: Sie hatten ihm nie zugehört.
Wenn man die Leute fragte, wie er denn gewesen sei, so antworteten sie nicht sofort. Sie überlegten kurz, bevor sie Worte wie "ruhig" oder "nett" sagten. "Freundlich". "Zurückhaltend"... Wer dann in ihre Augen sah, bemerkte die Verwunderung darin. Die Verwunderung darüber, dass es so schwer war, zu beschreiben, wie er gewesen ist. Es erschreckte sie selbst, dass sie so wenig über ihn sagen konnten. Dabei war er doch so oft in ihrer Nähe gewesen. Und doch konnten sie kaum mit Worten festhalten, was ihn eigentlich ausgemacht hat. Hatten sie ihn überhaupt jemals wirklich wahrgenommen? War er nicht immer im Schatten gewesen? Hatte ihn überhaupt jemals einer von ihnen länger als einen Lidschlag lang angesehen? Wer in ihre Augen sah, wusste, dass sie es alle nie getan hatten. Dass es Menschen gibt, die sich erst bemerkbar machen, wenn sie für immer gehen, wurde den meisten von ihnen erst jetzt schlagartig bewusst. Auf einmal wurde über jemanden geredet, der sein Leben lang nie wirklich ein Gesprächsthema gewesen war.
Doch die ersten begannen bereits, ihn zu vergessen. Es gab nicht viel, an das man sich erinnern konnte. Niemand von ihnen hatte sich je für ihn interessiert und wenn man sie nach ihm fragte, bekam man immer die gleichen aussagelosen Antworten. An diesem Tag wurden sie erstmals überhaupt nach ihm gefragt. Eine gute Antwort bekam keiner.
Denn niemand fragte das Mädchen, das mit feuchten Augen einsam unten am See saß und eine Rose in den glitzernden Schnee legte. Dort, wo er ihr so viel erzählt hatte. Dort, wo sie ihn das letzte Mal angesehen hatte. Dort, wo er ihr lebewohl gesagt hatte.
Ihr wären tausende Worte eingefallen.

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Sonntag, 27. Januar 2008
Ich lächle
Ich stehe nahe vor dir, schaue dir lächelnd in die Augen. Du siehst gut aus, umwerfend. Je länger ich dich betrachte, desto faszinierender wirst du.
Wie war dein Tag so, alles klar? Oh, dein Chef ist unzufrieden? Ach, das ist doch nicht so schlimm, der soll sich mal nicht so haben! Wird schon wieder. Ja, bei mir ist auch alles in Butter. Nichts Besonderes passiert... Ja, aber gerne doch, wann wär's dir denn lieb? Hm. Diese Woche ist leider schlecht. Ja, dann ein andermal, wird schon klappen. Machen wir uns keinen Stress.
Du entdeckst hinter mir einen anderen Freund. Ja, klar, wir sehn uns dann. Bis morgen! Ich lächle, du lächelst und gehst zu dem anderen Freund. Ich drehe mich um. Verdammt, du bist so heiß... dieser Hintern... Ich sehe dir nach und grüße von weitem den besagten Freund mit einem kurzen Kopfnicken. Dieser Loser.
Überlegen lächelnd wende ich mich wieder ab, schlendere in den Nebenraum zu meiner Freundin und gebe ihr einen schnellen Kuss. Dann fahre ich mit ihr nach Hause.

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Montag, 14. Januar 2008
Mampf!
Es war ein Tag wie jeder andere und er hatte für die kleine Ameise wie immer begonnen. Sie war von früh bis spät am Ackern, den ganzen Tag lang, bevor es, erst wenn es dunkel war, ein wenig Nachtruhe gab.
An diesem Nachmittag war ihr Auftrag kein anderer als sonst: Futter für den Nachwuchs zu sammeln. Dazu krabbelte sie durch die in mühseligen Stunden in den Sand gegrabenen Gänge, bis sie irgendwann an die Oberfläche kam, zwischen zwei Gehwegplatten hervorkroch und sogleich die Witterung aufnahm. Ihre Arbeiterkolleginnen hatten bereits mehrere Spuren gelegt, die zu verschiedenen Beuteplätzen führten. Einer dieser Duftspuren folgte sie nun flink und zielstrebig. Auf dem Weg traf sie die ein oder andere Kollegin, die dasselbe Ziel hatte oder bereits wieder auf dem Rückweg war.
Der Weg führte sie über viele Pflastersteine hinüber zur Dönerbude. Dort gab es so gut wie immer frische Nahrung, denn hier lagen genügend Brotkrumen sowie Fleisch- und Gemüsereste herum, dass die Vorratskammern beinahe platzten. Dennoch würde sie so wie jeden Tag stundenlang hin und herlaufen, um das Fressbare zu sammeln und in den Bau zu transportieren. Sie würde es ihr Leben lang tun und sich nicht ein einziges Mal beschweren.
Gerade hatte sie ein saftiges und für sie ziemlich großes Stück Schweinefleisch erreicht, da wurde dem Mann an der Bude der soeben gekaufte Döner Kebeb in die Hand gedrückt und ein guter Appetit gewünscht. Im nächsten Moment verdunkelte sich der Himmel über der kleinen Ameise und der Schuh des Mannes zerquetschte im Losgehen ihren winzigen Chitinkörper zu Matsch.
Ohne davon etwas mitzubekommen biss der Mann herzhaft und glücklich in das gut gefüllte Fladenbrot und ließ es sich schmecken.

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Sonntag, 23. Dezember 2007
Geschenk für Dich

Als er vor einigen Wochen ganz nah vor ihr gestanden hatte, ganz alleine mit ihr, hatte er es nicht geschafft. Seine Worte waren aussagelos gewesen, sein Lächeln ohne Bedeutung und seine Augen hatten nichts von dem verraten, was in seinem Kopf vorgegangen war. Nichts von dem, was er in seinem Bauch spürte, jedes Mal wenn er sie sah. Wenn er mit ihr sprach. Wenn er sie berührte. Dabei fühlte er, dass sie ihn mochte. Sehr mochte. Er wollte es ihr sagen. Doch es ging nicht.
Dann hatte er sich umentschieden. Er setzte sich hin und begann zu schreiben. Er schrieb seitenlange Briefe. Dass er sie liebte. Dass sie das wunderbarste Mädchen war, dem er je begegnet war. Dass er um sie weinte. Dass er sich nichts sehnlicher wünschte als ihre Zuneigung. Er schrieb jeden Tag. Doch was er auch schrieb, welche Worte er auch wählte - sie drückten in keinster Weise das aus, was er ihr zu verstehen geben wollte. Also zerriss er frustriert sämtliches Papier und dachte nach.
Lange saß er am Fenster. Doch seine Gedanken waren klar und als der Morgen graute, war er sich sicher. Er würde ihr zu Heiligabend ein Geschenk machen.

Ein paar Abende später öffnete ein Mädchen die Haustür und trat hinaus in den Schnee. Vor ihren Füßen lag eingebettet in weichen Samt ein kleines, längliches rotes Päckchen. Im Weiß des Winters leuchtete die Farbe so strahlend wie die Sonne, die in ihrem Herz aufging, als sie ihren Namen las, in goldenen Buchstaben auf das Päckchen geschrieben.
Sie hob es auf und ging lächelnd zurück ins Haus, rannte die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Dort öffnete sie es voller kribbeliger Ungeduld.
Es befand sich nichts darin außer mehrere handvoll Papierschnipsel. Und eine rote Rose.
Lächelnd sah sie genauer hin und wusste sogleich, wer dort draußen vor ihrem Haus versteckt in der Kälte auf sie wartete. Ihr Herz schlug wild, als sie die Rose griff und ein zweites Mal hinaus in den Schnee lief.
Als sie sich küssten, sah sie, dass er weinte. Doch sie wusste, dass er mindestens genauso glücklich war wie sie.

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Sonntag, 18. November 2007
Der Auftrag
Noch sieben Minuten.
Er schaute nervös auf seine Armbanduhr. Die Zeit verging so elendig langsam, dass es ihm vorkam, als ob er bereits seit Stunden hier stand. Dabei waren es inzwischen gerade einmal fünfzehn Minuten. Fünfzehn lange Minuten, in denen er sich das Szenario, das gleich entstehen würde, immer und immer wieder vorstellte. Er versuchte vorauszusagen, wie es alles enden würde, doch das war nahezu unmöglich. Niemand konnte vorhersehen, wie sie reagieren würden, wenn die Wahrheit ans Licht kam.
Langsam begann er zu frieren und er verfluchte das nasskalte Wetter. Doch seine Gedanken blieben nur kurz an den niedrigen Temperaturen hängen und wanderten schnell wieder zu der Straßenecke, von wo er sie erwartete. Er wusste, dass sie kommen würden, so wie sie jeden Donnerstag dort entlang kamen. Er hatte es oft beobachtet und detailliert festgehalten.
Er blickte unauffällig zur Parkbank. Alles in Ordnung.
Noch vier Minuten. Unruhig wechselte er sein Gewicht vom linken aufs rechte Bein und lehnte sich wieder an die Wand. Sein Puls war schnell und seine Nervosität nahm mit jeder Sekunde zu. Einige dutzend Meter weiter sah er eine Person im Schatten stehen, versteckt und nahezu unsichtbar. Alle waren bereit. Jetzt brauchten sie nur noch zu kommen.
Doch die Zeit verging einfach nicht. Er atmete tief aus, die Aufregung verflog nicht.
"Es ist an der Zeit, dass gewisse Dinge geschehen. Es kann keiner verlangen, dass jeder korrekt handelt, denn niemand weiß über alles bescheid. Aber es gibt einen Rahmen, den jeder kennt, in dessen Grenzen sich der Spielraum der Toleranz befindet. Du weißt, was ich meine. Tu, was du tun musst, aber sei dir immer bewusst, was du tust!"
Die Worte klangen noch immer in seinem Kopf. Es war schon einige dutzend Wochen her und so aussagelos sie auch waren, hatten sie sich in seinen Gedanken festgesetzt. Oft hatte er darüber nachgedacht und nicht immer war er sich sicher gewesen, ob ihm bewusst war, was er tat. Doch letztendlich war ihm etwas klar geworden. Deshalb stand er nun hier und wartete.
Der Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass es nun jeden Moment soweit sein konnte. Er kaute angespannt auf seiner Unterlippe und schielte hinüber zur Ecke. Die Straßen waren menschenleer, alles ruhig und verlassen. Nur die Leuchtreklame über dem bereits geschlossenen Imbiss blinkte einmal pro Sekunde.
Sie würden kommen, das wusste er. Es war alles bereit.

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Freitag, 9. November 2007
Zurück zu ihm
"Oh nee... Verdammt!", fluchte sie schnaufend und hörte auf zu rennen, blieb mit einem genervten Gesichtsausdruck stehen. Der Bus fuhr um die Ecke und verschwand aus ihrem Blickfeld. Da hätte sie sich nicht einmal mehr zu beeilen brauchen.
Was nun? Der nächste Bus fuhr erst eine halbe Stunde später, schließlich war es mitten in der Nacht. Unschlüssig ging sie zur Haltestelle hinüber und überlegte. Sollte sie noch einmal zurück? Zurück zu ihm? Der Gedanke daran ließ sie lächeln und sie merkte, dass sie sehr gerne zurück wollte. Aber sie hatten sich so ausgiebig verabschiedet, sich so oft gesagt, wie sehr sie sich auf übermorgen freuten. Nein, sie konnte nicht noch einmal zurück. Er wollte sicher ins Bett gehen.
Sie sah auf die Uhr. Es war kurz nach halb vier. Morgen musste er ziemlich früh aufstehen, denn sein Wettkampf würde um elf beginnen. Nein, es war besser, nicht noch einmal zurück zu gehen.
Also setzte sie sich ins Wartehäuschen und machte sich Musik über den mp3-Player an. Gähnend streckte sie die Füße aus.

Sie hörte nicht, wie der Mann sich näherte. Als er in das Häuschen kam und abrupt stehen blieb, erschrak sie und blickte auf. Es war ein kurzer Moment, in dem sie sich ansahen, doch aufgrund der Dunkelheit konnte sie sein Gesicht unter der Kapuze nicht erkennen.
Aber sie wusste sofort: Sie hätte zurückgehen sollen!
Langsam kam der Mann auf sie zu...

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Sonntag, 21. Oktober 2007
Imbiss
Er ließ den Bus fahren, denn er hatte Hunger und wollte sich noch eben etwas zu Essen am Imbiss kaufen. Während er bestellte und das Geld aus dem Portemonnaie heraussuchte, dachte er an eine Freundin, mit der er schon länger nicht mehr gesprochen hatte. Vorhin hatten sie sich kurz gesehen, doch waren sie beide in Eile gewesen. Er war traurig, dass sie keine Zeit mehr fanden füreinander und kaum noch etwas voneinander wussten. Früher war das anders gewesen, da hatten sie oft geredet und sich viele Dinge erzählt. Er seufzte und sah den Rücklichtern eines Autos nach.
Die Zeiten hatten sich geändert, vieles war anders als damals. Es waren schöne Jahre gewesen. Er dachte gerne an sie zurück, doch die Erinnerungen weckten immer wieder dieselbe Sehnsucht in ihm. Er musste immer an sie denken, an das Mädchen, das ihn nicht mehr losließ. Sie hatten sich auseinandergelebt, doch in seinen Gedanken war sie noch bei ihm. Es war schwer, sie loszulassen.
Er nahm den Pappteller mit der Currywurst und stellte sich an einen leeren Stehtisch. Während er aß, sah er gedankenverloren zur Kreuzung hinüber und blickte den Autos nach, bis sie hinter einer Hauswand verschwunden waren.
Als er fertig war, stieg er in den nächsten Bus und fuhr nach Hause. Morgen erwartete ihn ein weiterer anstrengendere Tag.

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Dienstag, 7. August 2007
Bergankunft
Die Beine schmerzten, waren fast taub. Wie in Trance traten sie im Rhythmus immer weiter. Bloß nicht aufhören! Es war nicht mehr weit. Ein paar hundert Meter nur noch. Welch Klacks gegnüber den hundert Kilometern, die er schon hinter sich gebracht hatte, er und all die anderen. Doch sie erschienen ihm wie eine Ewigkeit. Die Straße vor ihm kroch immer langeamer unter ihm hinweg und seine Schenkel brachten kaum noch Kraft auf, um den steilen Anstieg zu bewältigen.
"Los komm, Benno! Gib noch mal alles, dann hast du's geschafft! Komm schon!", hörte er hinter sich den Teamleiter rufen, der ihm im Mannschaftswagen in einigen Metern Abstand folgte. Über Funk wurden ihm danach noch einmal die aktuellen Zeiten durchgegeben, der Abstand zur Spitze und der Rückstand seiner ersten Verfolger. Er war denkbar knapp... Der Etappensieg war eh dahin, den würden die drei Spitzenreiter unter sich ausmachen. Ihm ging es darum, nicht allzu weit zurückzufallen und, wenn möglich, Vierter zu werden.
Seinen Antritt an diesem letzten Anstieg hatten seine fünf ehemaligen Begleiter aus anderen Teams nicht mehr mithalten können, doch jetzt merkte er, wie sehr er selbst dabei Kraft gelassen hatte. Er war sich nicht sicher, ob er es schaffen würde.
Es war nicht mehr weit. Die Zuschauer hinter der Absperrung kreischten und jubelten ihm zu. Die Straße wand sich Biegung um Biegung hinauf auf den Pass, alles war bunt, alles schrie und klatschte, die Begeisterung war riesig. Doch er konnte sich nicht daran freuen. Er quälte sich Tritt um Tritt die Schlangenlinien hinauf, ging aus dem Sattel und schaltete die Gänge hin und her. Keine Position schien mehr Geschwindigkeit herauszuholen, doch er musste weiter.
"Fünfunddreißig Sekunden, Benno! Kämpf weiter!", rief sein Teamchef. Das war gar nicht gut. Vorhin waren es fast fünfzig gewesen. Er kämpfte eh schon am Limit. schon seit Stunden. Es war eine Tortur. In solchen Momenten wünschte er sich manchmal, nie Radprofi geworden zu sein. Aber sich zu quälen gehörte nunmal mit dazu.
Die beiden Motorräder vor ihm fuhren fast schon im Schritttempo. Oh, nein, er war schon wieder langsamer geworden! Er suchte verzweifelt letzte Kraftreserven, sein ganzer Körper wuchtete sich in die Pedale.
Verdammter Anstieg! Wieso konnte es hier nicht einfach bergab gehen?
"Dreißig Sekunden", sagte es im Ohrstöpsel.
Es war nicht mehr weit. Kämpfen! Ein paar hundert Meter noch. Kämpfen!!
Die ersten drei Fahrer waren jetzt bereits im Ziel. Er wollte der nächste sein. Doch er konnte nicht mehr, war kaputt. Seine Beine taten nicht nur weh, sie schienen jeden Augenblick abzufallen.
Er sah den Berg hinauf, über die Köpfe der vielen Zuschauer hinweg, sah die Straße noch ein paar Schlangenlinien machen und dort oben, dort war das Ziel! Er konnte das große Banner erkennen.
Da war die nötige Kraftreserve! Er konnte es schaffen, das wusste er jetzt! Und er kämpfte.

Während der Sieger bereits die ersten Interviews zu Ende geführt hatte, kroch Benno erschöpft und ausgepowert über die Ziellinie. Als Vierter. Kurz nach ihm trafen die nächsten Fahrer ein und nach und nach alle weiteren etwa einhundertzwanzig.
Er hatte nicht mithalten können mit den Besten, doch er war mit seiner Platzierung und seiner Leistung sehr zufrieden. Und er war stolz auf sich. Denn ER hatte nicht gedopt!

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Dienstag, 3. Juli 2007
Hinter den Kulissen
Er steht auf der Bühne, im Scheinwerferlicht. Zumindest in Gedanken.
Bald würde es soweit sein und er es real tun, bis dahin nur in seinem Kopf, vor seinem inneren Auge. Die Gewissheit, dass diese Tatsache nun unausweichlich war, dass es kein Zurück gab, ließ seinen Magen ein wenig rotieren. Er konnte es nicht abstellen und er verfluchte diejenigen zutiefst, die Schuld daran waren. Es war schließlich nicht seine eigene Entscheidung gewesen...
"Was ist, wenn ich etwas Falsches sage? Was ist, wenn ich meine Rolle nicht gut genug spiele?", fragte er seine Freundin.
Lieb, wie sie war, versuchte sie ihn aufzumuntern und ihm Mut zu geben, obwohl sie wusste, dass es keinen Sinn hatte.
"Schatz, du wirst sehen, dass du das packst! Es wird nicht leicht sein, das glaub ich dir, doch im Gegensatz zu manch anderen ist deine Rolle noch recht harmlos und gut auf dich zugeschnitten."
Das wusste er. Sein Los war noch das erträglichste. Er blickte abwesend gegen die Wand und ihm fiel ein, dass Los das falsche Wort war.
Nur allzu ungern würde er im Kostüm derjenigen stehen, welche ohne Pause von allen Seiten durch Lampen und Flutlichter angestrahlt wurden, auf deren Auftritte Dutzende gespannt warteten, welche das Fundament des Stücks bildeten, welche es besser als alle anderen verstanden, zu demonstrieren, was Theater ist. Sie konnten es, was er fast bewunderte, doch er wusste auch, dass sie es mussten.
Froh sein darüber, dass er nicht an ihrer Stelle war, konnte er jedoch nicht. Am liebsten hätte er all dies gar nicht angefangen. Doch wie hätte er ahnen können, dass es hier so anders war, als er dachte?
"Über jedes Wort, das ich sage, wird man sich Gedanken machen. Jede Bewegung wird registriert werden. Ich werde Dinge sagen müssen, die nicht ich sage, sondern jemand, der ich zu sein versuchen muss, ohne zu wissen, ob es richtig oder falsch ist." Nach einer kurzen Gedankenpause fügte er leise hinzu: "Ich will das alles nicht... Auch wenn es nur eine Nebenrolle ist - ich bin dafür nicht gemacht. Ich kann ohne Drehbuch nicht spielen..."
Sie sah ihn an und so sehr sie wollte, ihr fiel nichts ein, was sie dazu hätte sagen sollen.
Außer, dass er es einfach musste.

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Samstag, 2. Juni 2007
Schuld
Schuld? Nein, schuldig hatte er sich eigentlich nie gefühlt. Nicht, als er als Kind Briefkästen angezündet hatte, nicht nachdem er im Supermark angefangen hatte zu stehlen, nicht als er seine Freundin immer wieder mit diversen leichten Mädchen betrogen hatte und auch nicht, als er seine spätere Frau im Suff schlug. Schließlich war das im Suff gewesen und es hatte einen Streit gegeben, bei dem er im Recht war.
Viele seiner Freunde und Bekannten wussten es nicht, aber er hatte sogar einmal im Knast gesessen wegen versuchten Raubüberfalls. Auch hier fühlte er keine Schuld. Der Ladenbesitzer hatte ihn selbst schon betrogen.
Er wusste, dass er in seinem bisherigen Leben kein Engel gewesen war, doch es war ihm egal. Was kümmerten ihn die Sorgen anderer? Er hatte genug eigene und sah nicht ein, weshalb er Rücksicht haben sollte. Man musste nehmen, was man kriegen konnte und weshalb sollte ausgerechnet ihm Spaß verwehrt sein?
Eigentlich machte er sich darüber gar keine Gedanken. Er war kein großer Denker.
So hatte er das auch an jenem Tag gesehen. Er hatte Spätschicht und den Mittag zu Hause vor dem Fernseher verbracht. Seine Frau war in der Küche gewesen und hatte gekocht. Sie konnte gut kochen und das schätzte er an ihr. Doch diesmal war ihr das Fleisch angebrannt und er musste es herunterwürgen.
Seinen Unmut ließ er sie deutlich spüren, seine Worte waren ungewählt und verletzend.
Es war ihm egal, sie würde ihn niemals verlassen. Dazu war sie eine viel zu treue Seele. Außerdem wusste er, dass sie auf ihn angewiesen war.
Kurz nach dem Essen war er zur Arbeit aufgebrochen. Mit dem Auto natürlich. Bei einem Imbiss hatte er sich dann erst einmal noch etwas Ordentliches für den Magen gekauft, damit er nicht den angebrannten Geschmack im Mund hatte.
Anschließend fuhr er mit seinem alten Renault durch die Stadt zu seiner Dienststelle. Das Gelände war weiträumig und man konnte sich leicht verlaufen, wenn man sich hier nicht gut auskannte.
Das Gebäude, in dem sich der Mitarbeiterraum befand, in dem seine Dienstkleidung aufbewahrt war, befand sich auf der linken Seite. Er parkte davor und betrat den schäbigen Kasten durch eine marode Tür.
Wieder so ein Punkt in seinem Leben, der Symbol war für die Ungerechtigkeit, die ihm widerfuhr.
Das Büro befand sich direkt neben dem Eingang und er lugte hinein. Wie immer war Olga, die recht hübsche russische Sekretärin, dabei, einen Haufen Papiere durchzusehen. Er musste grinsen, als er daran dachte, wie er es ihr vor einigen Wochen auf der Toilette besorgt hatte. Er hatte sich immer gefragt, ob Russinen im Liebeswahn "Da! Da! Da!" stöhnen würden, und hatte sich das recht amüsant vorgestellt. Leider war er enttäuscht worden. Doch es war dennoch ein spaßiges Erlebnis gewesen.
Er ging den schmalen Gang entlang zu den Spints. Er war spät dran und musste sich beeilen. Schnell schlüpfte er in seine blaue Jacke und zog die dazu passende Hose über. Das Funkgerät steckte schon in der Tasche und so konnte er im Eiltempo wieder das Gebäude verlassen.
Aus dem Augenwinkel sah er einen Kollegen, doch er grüßte ihn nicht.
Einige Stunden später saß er im Cockpit und fuhr wie jeden Tag die dunkle Strecke ab, die er mittlerweile in und auswendig kannte. Das Rattern der metallenen Räder hörte er sogar noch im Schlaf und vom Sich-Entlangwinden im Tunnel träumte er manchmal gar.
Die Arbeit war sicherlich gewissenhaft und er hatte bestimmt eine Menge Verantwortung. Doch das hinderte ihn nicht, die Namen der Stationen so undeutlich wie möglich anzusagen, ab und zu etwas schärfer zu bremsen oder manchmal die Türentriegelung so lange hinauszuzögern, wie es ging. Ein bisschen Freude hatte er verdient bei diesem langweiligen Job. Jeden Tag dasselbe. Da stumpft man ab. Und es wird einem vieles egal.
Doch diesmal war es nicht so wie jeden Tag. Im Nachhinein bildete er sich ein, dass er es hätte ahnen können. Dass er es hätte ahnen müssen.
Erst hatte er es gar nicht so richtig realisiert, was er da sah. Wie gewöhnlich war er den Kopf abgestützt und mit gelangweiltem Blick eingefahren. Der plötzliche Helligkeitskontrast machte ihm schon gar nichts mehr aus. Es war seine Pflicht, die Augen offen zu behalten und die Personen zu beobachten.
Er hatte es auch diesmal getan. Doch zum Reagieren blieb keine Zeit mehr.
Noch jetzt, Monate danach, sah er sie vor sich, wie diese zierliche Frau vor seinen Zug gestoßen wurde. Und er konnte nicht umhin, sich dafür die Schuld zu geben.
Er hatte sie überfahren. Und nun kam er aus dem Grübeln nicht mehr heraus.

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