Ein paar kurze Worte...
...über die Welt und auch ein bisschen über mich
Dienstag, 24. Juni 2008
Knäuel
geschrieben am Montag, 07.04.2008

Vor mir sitzt ein Wollknäuel, schon sehr lange. Wirklich lange. Es ist ein großer, zottiger Hund. Ab und zu bewegt er sich ein Stück, doch nur wenig und dann setzt er sich wieder hin. Ich habe ihn "mein Leben" genannt und er wartet darauf, dass ich seine Leine nehme und ihm die Welt zeige. Doch ich sehe keine Leine um seinen Hals. Ich greife wieder und wieder in das dichte Fell und suche sie. Ich finde keine. Das Knäuel blickt mich aus tiefschwarzen aussagelosen Augen an und sieht zu, wie ich verzweifle. Da ist keine Leine! Der Hund wartet.
Da! Er wedelt mit dem wuschigen Schwanz. Soll ich es noch einmal versuchen? Vielleicht ist die Leine ja doch irgendwo im Fell versteckt. Ich sehe nach. Energischer, gründlicher. Nichts. Der Hund sitzt weiter da und guckt mich an. Um mich herum laufen die Menschen umher. Jeder hat ein Wollknäuel dabei. Die springen herum, laufen brav hinterher oder zerren widerstrebend an der Leine. Aber sie haben eine!
Ich taste ein weiteres Mal im Fell herum. Nichts.
Soll ich weitermachen...?

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Donnerstag, 8. Mai 2008
Gustav
geschrieben am Sonntag, 2. März 2008, 03:19:59 (also eigentlich noch Samstag)
Diese Geschichte handelt von Gustav. Gustav hatte dichte weiße Locken und war noch jungen Alters. Das klingt beim ersten Hören etwas verwirrend, doch entspricht diese Tatsache vollster Normalität, denn Gustav war ein Schaf. Kein besonderes Schaf, sondern ein ganz normales Durchschnittsschaf.
Tagsüber war er auf der Wiese und fraß, nachts schlief er im Stall, der an der Weide angrenzte. Er war hier geboren worden und es gefiel ihm hier. Vor einiger Zeit hatte er noch einige Kameraden, aber dann waren sie eines Tages nicht mehr im Stall gewesen. Doch es war ihm egal. Er ging weiter auf die Wiese und fraß. Wenn ab und zu Menschen vorbei kamen und guckten, guckte er zurück. Und wenn sie ihm Löwenzahn durch den Zaun hielten, trabte er zu ihnen hin und fraß das leckere Grün. Ihm war es schnuppe, ob sie sich drüber freuten oder nicht, aber es schmeckte ihm.
Im Grunde kümmerte Gustav überhaupt nichts. Wenn der Bauer seine Frau anschrie, zuckte er nur kurz mit den Ohren, wenn es drei Tage am Stück regnete, fraß er eben im Nassen und als im Gebüsch neben seiner Weide einmal ein Mädchen vergewaltigt wurde, hatte er nur kurz geschnaubt. Selbst als der Wolf zwei Lämmer der Nachbarherde gerissen hatte, ließ ihn das völlig unberührt.
Nur eine Sache hasste Gustav: Immer wenn er in die Werkstatt geführt wurde und der Bauer ihn schor, wollte er am liebsten reißaus nehmen. Doch danach gab es meistens Rüben und ihm war die Welt außerhalb seines Stalls wieder egal.
Eines Nachts erlaubten sich ein paar Dorfknaben einen Streich und öffneten das Tor zu Gustavs Weide. Gustav bekam das mit, der Bauer nicht. Er hätte weglaufen können, die unbekannte Welt hinter dem Zaun erkunden können. Doch wozu sollte er weglaufen? Was interessierte ihn das Unbekannte? Er konnte genauso gut hier fressen. So wurde das Gatter am nächsten Morgen wieder geschlossen und Gustav fraß weiter auf seiner Weide.
Zwei Tage später wurde er geschlachtet.

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Mittwoch, 23. April 2008
SMS
geschrieben am Mittwoch, 10. Oktober 2007
Sie war gerade beim Sport, deshalb bekam sie die Nachricht nicht gleich. Verschwitzt und ausgepowert ging sie in die Umkleidekabine und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie war gut gewesen heute und ihr Trainer war zufrieden. Das Spiel nächste Woche konnte kommen, sie war gerüstet.
Unter der Dusche genoss sie das kühle Wasser an ihrem Körper, sie fühlte sich stark, war gut drauf zur Zeit. Noch ahnte sie nichts.
Als sie sich umzog, flogen ihre Gedanken vom Deutschunterricht zum Chemie-Referat und zur Geburtstagsparty ihrer besten Freundin am nächsten Freitag, dem Tag vor ihrem Spiel. Ihre Sachen packend rief sie ihrem Trainer einen Gruß zu und verließ gut gelaunt das Gebäude.
Da spürte sie ihr Handy vibrieren. Eine SMS.
"Gabi, bitte komm schnell nach Hause. Es ist etwas passiert. Mama"
Wie ein Dolch fuhr ihr der Schmerz zuerst in den Magen und dann mitten ins Herz. Sie spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Ihr Puls wummerte in ihren Adern. Wie angewurzelt dastehend, betrachtete sie die Worte.
Was hatte das zu bedeuten? Eine solche Nachricht verhieß ziemlich sicher nichts Gutes.
Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, während der sie auf den Zug wartete. Noch nie zuvor hatte sie es so eilig gehabt wie in diesen Minuten. Sie schien wie gefangen in einem unsichtbaren Käfig der Zeit, sie wollte fliegen, sofort zu Hause sein. Was war passiert, verdammt? War was mit Papa? Hatte jemand einen Unfall? Oder interpretierte sie das Ganze nur über? War nur etwas mit dem Internet nicht in Ordnung? Vielleicht war es ja doch gar nichts Schlimmes, vielleicht wollte ihre Mutter sie mit etwas überraschen? Sie hoffte, dass es so war! Oh Gott, sie wollte nach Hause und wissen, was los war! Scheiße, warum kam der Zug einfach nicht? Sie wollte schreien. Doch stattdessen schluckte sie nur. Ihr Mund war trocken.
Den Weg vom Bahnhof bis zu ihrem Haus rannte sie. Das tat sie normalerweise nie, doch es hielt sie nichts mehr zurück. Die Sporttasche war sperrig und nervte. Keuchend und mit einem sehr mulmigen Gefühl schloss sie zitternd die Wohnungstür auf, mit allem rechnend, das Schlimmste erwartend. Ohne die Schuhe auszuziehen oder die Jacke abzulegen, ließ sie nur ihre Tasche in den Flur fallen und lief ins Wohnzimmer. Zögernd stand sie in der Tür, sah zur Couch. Vier Augen blickten sie an...

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Freitag, 4. April 2008
Im Irak - Pt. 7
7/7
Ein Knallen ließ ihn hochschrecken. Wo war er? Im Licht einer Taschenlampe sah er einen Stromkasten. Die Realität wurde ihm wieder bewusst, die Fiktion aus den verworrenen Traumszenen verschwand. Wieder ein leiser Knall. Er hallte in den Gängen und P.'s Kopf nach. Und wieder einer. Hinter ihm wurden die Irakis unruhig. Sie hatten aufgehört zu reden und lauschten angespannt, die Köpfe zur Tür gedreht, genau wie P. selbst.
Aus dem dumpfen Knallen wurden laute Schüsse, ein eindringliches Knattern, dazu drangen Rufe und einzelne gellende Schreie immer lauter durch die Gänge in den kleinen Raum. Die drei Männer sprangen auf und luden hektisch ihre Waffen nach. Mit einem Male begann P.'s Herz zu rasen, sein Atem ging schnell und flach. Eine Gänsehaut begann ihm über den kompletten Rücken zu kriechen. Mit weit geöffneten Augen starrte er in entsetzter Erwartung zur ihm gegenüber liegenden Tür. Unwillkürlich klammerte er sich mit den Händen an der Lehne des Stuhls fest. Die Schüsse kamen immer näher, die Stimmen wurden lauter.
Dann ging alles unheimlich schnell. Die Tür wurde aufgerissen und herein stürmten drei, vier, sechs Irakis. Sie hatten ebenfalls ein paar Taschenlampen dabei und ihre Maschinengewehre im Anschlag und keuchten den drei in Abwehrstellung stehenden Männern einige Worte zu. Sie hatten keine Zeit, um ausführlichere Auskunft zu geben, denn schon nach wenigen Sekunden peitschten wieder Schüsse durchs Dunkel. Zwei weitere Irakis stürmten Hals über Kopf in den Raum. Einer von ihnen blutete am Arm, der andere brüllte etwas.
P. saß wie traumatisiert auf seinem Stuhl und folgte wie paralysiert dem Geschehen. Auf einmal war das vorher so leere und kalte Zimmer gefüllt mit panischen Männern und die hitzige Luft erbebte durch die Gewehrschüsse. Sein Kopf schien platzen zu wollen.
Die Araber riefen sich Anweisungen zu und verteilten sich im Raum, die Waffen weiter im Anschlag, auf die offene Tür zum Gang draußen gerichtet. Plötzlich packte einer von ihnen P.'s Stuhl und zerrte ihn mitsamt ihm selbst in die hinterste Ecke, wo er sich hinter ihn stellte. P. fühlte etwas Eiskaltes an seiner Schläfe und erstarrte.
Wieder laute Rufe. Wieder Schüsse. Ein weiterer Iraki hechtete aus dem dunklen Gang ins Zimmer hinein und suchte sogleich Deckung. Ohne Erfolg. Er schien der letzte gewesen zu sein. Einen kurzen Moment lang war es still. Eine Stille voller unerträglicher Anspannung. Zwölf Iraki standen bereit, um die Angreifer, wer auch immer sie sein mochten, mit einem Kugelhagel zu begrüßen und zu durchsieben. Es war plötzlich so still, dass P. sie atmen hören konnte.
Aus dem Dunkel wurde etwas gerufen.
Die Iraki rührten sich nicht. Keine Antwort.
Wieder wurde gerufen. Keine Reaktion. Wieder ein Moment der Stille.
Plötzlich hörte man das Geräusch eines kleinen rollenden Gegenstandes. Er rollte in den Raum. Sofort schreckten die Iraki zurück. P.'s Augen weiteten sich. Er schob sich so weit es irgendwie ging in die Lehne seines Stuhls hinein. Die Mündung der Pistole drückte fester gegen seinen Kopf. Der kleine Gegenstand auf dem Boden vor der Tür gab einen leisen Klicklaut von sich und auf einmal hüllte er sich in dichten Rauch. Der Qualm stieg schnell nach oben, verbreitete sich rasch. Keine zehn Sekunden dauerte es und die Tür verschwand im sich ausbreitenden Nebel. Die Irakis rührten sich, sie blickten sich mit geweiteten Augen an.
Schritte waren zu hören und keinen Lidschlag später verloren die Araber die Nerven, eröffneten blind das Feuer. Die Kugeln schossen unkontrolliert aus zwölf automatischen Waffen und droschen gegen die Betonwände, prallten mit irrwitziger Geschwindigkeit ab und verwandelten den kleinen Raum in ein ohrenbetäubendes, blitzendes Inferno. Schreie.
P. zuckte zusammen, nahm einen stechenden Schmerz im Unterleib wahr. Mit überraschtem Gesichtsausdruck krümmte er sich, doch er war festgebunden. Dann raste eine Metallkugel durch sein Gehirn. Sie löschte alle Bilder, alle Erinnerungen, alle Ängste. Sein Leben.

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Montag, 31. März 2008
Im Irak - Pt. 6
6/7
P. und die drei Irakis liefen hastig durch die dunkle und angenehm kühle Halle. Sie war komplett leer und wirkte damit noch riesiger als sie es ohnehin schon war. Sie erreichten eine Treppe, die einige Stufen hinunter in einen Keller führte. Eine Etage tiefer standen sie nun vor einer massiven Tür. Sie war verschlossen, doch ohne zu zögern legte einer der Männer sein Maschinengewehr in Anschlag und feuerte mehrmals auf das Schloss. Das ohrenbetäubende Geräusch der Schüsse ließ P. am kompletten Körper zusammenzucken. In der Halle über ihnen hallte das Knallen lange nach und wich erst spät einem unwillkürlich einsetzenden Piepen in P.'s Ohren. Die Tür ließ sich öffnen und er wurde hindurchgeschoben.
Es folgte ein Marsch von mehreren Minuten durch die Kellergänge unter der großen Halle. Einzige Lichtquelle war die funzelige Taschenlampe, die einer der Männer dabei hatte. P. fühlte sich nicht besser, als ihm langsam bewusst wurde, dass auch die Irakis nicht genau wussten, welchen Weg sie eigentlich nehmen sollten. Sie hatten sich ganz offensichtlich verlaufen. Doch sie stießen P. unablässig weiter vorwärts, durch zig Türen und Gänge hindurch. Irgendwann jedoch erreichten sie den Raum, den sie anscheinend gesucht hatten. Soweit erkennbar, war er bis auf einige schwarze Holzstühle leer. An den Wänden liefen Rohrleitungen entlang und viele Verteilerkästen sowie Schaltpulte deuteten auf ehemaligen Betrieb hin.
Die Irakis setzten P. auf einen der Stühle und banden ihn fest. Als ob er hier jemals wieder selbst herausfinden würde... Er atmete schwer, war erschöpft von der plötzlichen Hektik und verspürte wieder Angst in sich aufkommen. Er hasste Dunkelheit und nun war er in ihr gefangen. Nur der spärliche Lichtkegel, der gegen die graue Wand strahlte, bot ihm die Möglichkeit, seinen Blick auf wenigstens irgendetwas lenken zu können. So stierte er auf ein paar rote Knöpfe. Schon sehr lange schien niemand mehr auf ihnen herumgedrückt zu haben...
Es folgte eine lange Zeit des Wartens. Die drei Irakis hatten sich ebenfalls in einer Ecke niedergelassen und sprachen dort leise miteinander. Auch sie schienen zu warten. P. hasste warten. Er wollte weg. Wieder nach oben.
Seine Gedanken flogen wie ein Schwarm wilder Vögel durcheinander und er fühlte sich schwach und ausgelaugt, nicht fähig, die Bilder in seinem Kopf zu ordnen. Die roten Knopfe schienen ihn zu hypnotisieren und das Dunkel ringsumher wollte ihn einhüllen. Seine Augen fühlten sich an, als ob sie in den Höhlen verschwinden wollten. Die Lider wurden schwer. Die Knöpfe verschwanden. Schließlich fiel sein Kopf nach vorne und er nickte weg.

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Donnerstag, 27. März 2008
Im Irak - Pt. 5
5/7
Die Fahrt war ähnlich konfus wie die erste, obwohl P. nun auf einem gepolsterten Sitz statt auf einer Metallkiste saß und im Gegensatz zur ersten "Reise" sehen konnte, wann es bergauf und wann bergab ging. Man fuhr in einer Kolonne mit vier Jeeps sowie dem Bus. Die Straße führte sie quer durch die Wüste. Das Gelände erwies sich als äußerst hügelig und unregelmäßig, trockene Flussläufe wurden durchquert, dann wieder ebene Flächen. Wenig Vegetation schmückte die Aussicht und Anzeichen von menschlicher Einwirkung gab es so gut wie überhaupt nicht. Die Straße zeigte sich als das einzige, was auf Menscheneinfluss hinwies, auch wenn sie lediglich aus etwas befestigteren Fahrspuren bestand. Über viele Kilometer hinweg begegneten sie keinem einzigen Fahrzeug und erreichten keine Ortschaft. Es war wie in einer Mondlandschaft. Wäre P. nicht inmitten einer Horde Extremisten gefangen, wäre er vielleicht beeindruckt gewesen. Doch so sah er nur aus dem Fenster. Ohne Empfindungen, ohne Gedanken.
Die Irakis verhielten sich äußerst ruhig. Kaum einmal wurde ein Wort gesprochen. Sie schienen alle in Gedanken versunken und blickten stur geradeaus. Einige rauchten und machten die Luft im Toyota noch stickiger, als sie bei der Hitze ohnehin bereits war. Doch P.'s Übel waren ganz anderen Kalibers. Sie würden ihn irgendwo hinbringen. Und dort würde irgendetwas geschehen. Er wünschte sich, dass sie dort nie ankommen würden. Dass die Fahrt, so unangenehm sie auch war, nie enden würde. Welch sinnlos utopischer Wunsch...
Die Fahrt endete nahe einer Stadt in einer weiteren augenscheinlich verlassenen Ansammlung von Gebäuden. Es war eine Industrieanlage, vermutlich eine Erdölraffinerie. Hunderte unheimlich großer und tausende kleinerer Rohre wuchsen aus dem Boden empor, wanden sich in den irrsinnigsten Verläufen über den Boden und an Wegen entlang, um dann in Gebäuden oder wieder der Erde zu verschwinden. Schornsteine und Türme aus Metallstreben ragten in den Himmel, große flache fensterlose Hallen mit Wellblechdach und viele braune Speichertanks säumten die Straße. P. entdeckte allerhand Konstruktionen, welche er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Pumpvorrichtungen, Turbinen, dreckige leere Klärbecken, riesige offene Ölabscheideschächte, Entschwefelungsanlagen, Reaktoren. P.'s Blick streifte desinteressiert über die Gebäude und sein Herz begann ihm langsam in den Magen zu sacken. Kein Mensch war zu sehen. Die Anlage war komplett stillgelegt. Was wollten sie hier?
Die Kolonne bog in die Einfahrt zu einer großen Lagerhalle ein, fuhr durch ein großes, verrostetes Tor und kam auf einem weitläufigen betonierten Platz zum Stehen. In Windeseile wurde aus den Fahrzeugen gesprungen und auch P. verließ den Bus plötzlicher als er es erwartet hatte. Drei Männer gingen schnellen Schrittes mit ihm zu einer der Hallen, während die Autos wieder lospreschten und hinter einer Ecke verschwanden. Keine halbe Minute hatte es gedauert und der Platz lag wieder still und menschenleer in der Mittagshitze, als ob nichts geschehen wäre.

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Donnerstag, 20. März 2008
Im Irak - Pt. 4
4/7
Sie gaben ihm regelmäßig zu essen, nichts Großartiges, aber es reichte. Ansonsten wurde er ignoriert. Niemand sprach ein Wort zu ihm, niemand kümmerte sich um ihn und seine Fragen. Und er fragte jedes Mal, wenn jemand kam. Er bettelte darum, flehte sie an, dass sie antworteten, ihm sagten, was sie mit seiner Familie gemacht hatten. Doch die Männer blieben stumm, gingen zur Tür hinaus und P. war wieder alleine.
Drei Tage dauerte es, ehe etwas passierte. Er war beinahe dankbar dafür, auch wenn er nicht wusste, was geschehen würde. Doch die endlos erscheinende Zeit in dem kleinen Raum hatte ihn erdrückt und die Ungewissheit über die Zukunft quälte ihn. Am schlimmsten war die Ungewissheit gewesen, WANN endlich etwas geschehen würde. Nun, da es soweit war, bekam er plötzlich wieder stechende Angst. Möglich, dass dies seine letzten Stunden waren. Vielleicht waren draußen in der Welt Verhandlungen geführt worden. Vielleicht hatte jemand Lösegeld bezahlt. Oder eben auch nicht. Womöglich würde man ihn an einen entlegenen Ort bringen und ihn dort enthaupten, so wie es in manchen Videobotschaften von diversen Terroristengruppen zu sehen gewesen war. Er erschauderte. Doch er zeigtekeinen Widerstand. Es hätte keinen Sinn gehabt, sich zu wehren.
Ein bärtiger Mann mittleren Alters schob auf der anderen Seite den Riegel zur Seite, öffnete knarrend die Tür und kam herein. Ihm folgten zwei weitere Araber, alle drei mit grimmigem Blick. P. sah auf und wusste sofort, dass er nun den Raum verlassen würde.
Die Männer fesselten ihm wieder die Hände hinter den Rücken, doch schienen sie auf eine Augenbinde zu verzichten. Ohne weitere Kommentare gaben sie ihm unmissverständlich zu verstehen, dass er nun mit ihnen das Haus verlassen solle. Wie ein soeben verhafteter Straftäter ging er zwischen ihnen durch die Tür und durch den Raum mit den Waffen. Der Schrank war leer. Das ganze Zimmer war leer.
Ohne stehen zu bleiben, schritt er durch die Eingangstür hinaus ins Freie und kniff die Augen zusammen. Nach drei Tagen konnte er endlich seine Beine wieder bewegen, war wieder unter freiem Himmel und im Licht. Es fühlte sich gut an. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch, es war noch Vormittag, doch die Hitze war dennoch bereits enorm. Für einen kurzen Moment genoss er die Lichtstrahlen auf seiner Haut, auf seinen verstaubten Haaren, auf seinem dreckigen Hemd.
Er sah sich um. Das Haus, das er soeben verlassen hatte, lag zwar nicht allein, aber nur in Gesellschaft eines halben Dutzends weiterer Gebäude. Und anscheinend wirklich inmitten der Wüste. Ringsumher war nichts als karge, äußerst spärlich bewachsene Sand- und Steinlandschaft zu sehen, einige Hügel, blauer Himmel. Eine Straße führte durch das winzige verlassene Dorf, kam aus dem Nichts und führte ins Nichts. Wie es schien, hatten die paar alten Häuser seinen Entführern als zeitweiliger Unterschlupf gedient. Nun versammelten sie sich alle auf der Straße und beluden Autos mit allen möglichen Kisten. Es waren nicht viele Männer, höchstens zwanzig, doch deutlich mehr, als P. bisher zu Gesicht bekommen hatte.
Man führte ihn zu einem alten verrosteten Kleinbus, ein weißer Toyota. Mühsam stieg er mit gefesselten Händen ein und rutschte auf einen der mittleren Sitze. Sogleich wurde er flankiert von mehreren Irakis, alle bis auf die Zähne bewaffnet. Im Bus stank es nach Schweiß, Benzin und Tabak, doch P. war froh, etwas anderes riechen zu dürfen als seinen eigenen Gestank in seinem vorigen Gefängnis.
Die ersten Autos, alles geländegängige Jeeps, setzten sich in Bewegung, voll besetzt mit für einen Krieg ausgerüsteten Arabern. P. fühlte sich unwohl, doch hatte er sich längst seinem Schicksal ergeben. Er würde es sowieso nicht mehr ändern können.
Der Fahrer stieg ein und auch der Kleinbus fuhr scheppernd und holpernd los.

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Donnerstag, 13. März 2008
Im Irak - Pt. 3
3/7
Nach einiger Zeit stand er auf und machte ein paar Schritte durch den Raum. Das kleine Loch oben an der Wand ließ zwar das Licht herein, doch war es viel zu klein, um dort hindurchzukriechen. Er versuchte, draußen etwas zu erkennen, erblickte jedoch nur den blauen Himmel, der noch immer völlig wolkenlos war.
Die Tür war hölzern und massiv und mit mehreren Quer- und Längsbalken verstärkt. Dahinter hörte er die Stimmen der Männer. Auch wenn das Gebäude nur noch aus den einzelnen Steinen zu bestehen schien, war es unmöglich, hier herauszukommen. Der Türrahmen war fest zubetoniert und absolut robust. Nicht, dass er wirklich vorhatte, zu flüchten. So verrückt war er nicht. Er wusste nicht einmal, wo er sich befand. Möglicherweise waren sie mitten in der Wüste, auf jeden Fall hatte er keinen Schimmer, wo er hin sollte, wenn er fliehen hätte können. Aber er musste immerhin seine Möglichkeiten erforschen, die er noch hatte.
Dann bemerkte er, dass die Tür einen recht großen, länglichen Schlitz in der Mitte besaß, ähnlich dem einer Briefkastenöffnung, allerdings ohne Deckel. Er ging in die Knie und sah hindurch. Hinter der Tür lag ein recht großer Raum, an dessen Wände nicht die einzelnen Steine hervorragten, sondern sogar eine alte Tapete zu sehen war. An einem Tisch in der hinteren Ecke saßen vier Männer, zwei von ihnen eingehüllt in Gewänder. Einen Turban hatte keiner von ihnen umgebunden, doch trugen sie einen Vollbart wie die Männer in der Stadt. Überraschenderweise schienen die beiden anderen Männer keine Einheimischen zu sein. Sie sahen südländisch aus, doch sie waren eindeutig keine Araber. Im Gegensatz zu den Irakis unterhielten sie sich angeregt und heiter und kauten dabei auf kleinen dunklen Scheiben herum. Sie sprachen oder vielmehr lallten nicht Arabisch, doch verstehen konnte P. sie dennoch nicht.
Er ließ den Blick weiter durch den Raum schweifen. An der Wand neben dem Tisch lehnten einige Waffen, weitere Gewehre konnte er in einem offenen alten Schrank gegenüber der Eingangstür erkennen. Noch nie zuvor hatte er überhaupt real ein Maschinengewehr gesehen und nun hatten sie gleich ein ganzes Dutzend davon auf ihn gerichtet gehabt. Es war alles so schnell gegangen. Wie in einem Traum sah P. die Bilder von vor wenigen Stunden noch einmal vor sich aufblitzen.
In einer Ecke konnte er mehrere Holzkisten aufeinander gestapelt erkennen und an der Wand lag ein grüner Rucksack. Mehr war in dem Zimmer nicht zu sehen. P. beobachtete die Männer eine Weile und kam zu dem Schluss, dass die beiden Südländer aus Spanien stammen mussten. Zumindest glaubte er einige spanische Worte herauszuhören.
Es war ein merkwürdiges Szenario. Vor allem schien sich niemand der vier Männer um ihn hier in seiner Kammer zu interessieren. Die Spanier wurden zunehmend ausgelassener und schienen unter starkem Drogeneinfluss zu stehen, während die Irakis stumm dabenen saßen und sie kaum beachteten. P. nahm an, dass sie die Gesellschaft der beiden nicht sehr erfreute, auch wenn sie sich das nicht anmerken ließen und sie, so gut es bei deren lautstarkem Theater ging, ignorierten.
Plötzlich stand einer der Spanier umständlich auf und wankte gebückt in die Ecke. Er stand definitiv unter Drogen. Vielleicht hatten sie gekokst. Alkohol war es nicht, denn P. konnte keine Flaschen im Raum finden. Mit einem lauten Würgelaut erbrach der Mann seinen Mageninhalt über die Holzkisten. Sofort reagierten die Irakis, sprangen auf und zerrten den ihn mit einem genervten Gesichtsausdruck hinter ihren Bärten aus der Ecke. Der Spanier setzte sich nur widerstrebend wieder an den Tisch, wo er nun, den Kopf auf den Armen, zusammensackte. Der andere begann laut zu lachen, nahm eine weitere der kleinen Scheiben und begann, auf ihr herumzubeißen. Die Distanz war zu groß, um Genaueres erkennen zu können, doch ahnte P., dass die beiden Spanier wohl gerade dem Meskalingenuss frönten. Vielleicht waren sie auch Mexikaner, da kam das Zeug meistens her.
Geschichten von exotischen Rauschmitteln hatte P. oft genug gehört. Sein Freund, der Pharmazeut, kannte sich da aus und hatte eine Menge erzählt. Vollkommen zusammenhangslos erschien P. jedoch die Anwesenheit von Mexikanern im Irak. Aber was wunderte er sich überhaupt noch?
Er wandte sich wieder von der Tür ab. Wozu sollte er dieses Szenario überhaupt verstehen? Es war ohnehin alles komplett verrückt. Wenn er doch nur wüsste, was auf ihn wartete. Wollten sie ihn töten? Was war mit seiner Frau und seiner Tochter geschehen? Wie lange würde er hier in der Kammer verweilen müssen?
Er setzte sich wieder auf das bettähnliche Gestell, welches das einzige Möbelstück im Raum darstellte, wenn man es überhaupt als ein solches bezeichnen konnte. Keine Matratze, keine Decke, einfach nur Holz. Seufzend legte er sich auf den Rücken und streckte sich aus. An Schlafen war nicht zu denken, doch es tat gut, seine Glieder etwas zu strecken.
"Verrückt!", dachte er kopfschüttelnd, "Einfach nur verrückt!".

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Samstag, 8. März 2008
Im Irak - Pt. 2
2/7
Als ihm die Augen endlich entbunden wurden, blendete ihn das grelle Licht, das durch ein winziges Fenster hereinfiel. Er blinzelte und sah sich um. Der Raum, in dem er sich befand, war klein und dreckig. Es musste eine alte Ruine sein, so heruntergekommen wie die Wände waren. Die blanken Backsteine sahen heraus, von Putz keine Spur.
Der Mann, der ihn gerade seiner Fesseln entledigte, trug einen dunkelgrünen Umhang, einen weißen Turban und ausgelatschte Turnschuhe von Adidas. Sein Bart war schwarz wie seine Augen und das Maschinengewehr auf seinem Rücken. So oder so ähnlich hatten sie alle ausgesehen, als sie P. und seine Familie überfallen hatten.
Der Mann verließ wortlos den Raum und schloss die Tür. Ein Riegel wurde vorgeschoben und P. war alleine. Er rieb sich über die wunden Handgelenke. Seine Stirn pochte, doch man hatte die Blutung bereits gestillt und die Wunde versorgt. Es schienen hier andere Männer zu sein, humanere, auch wenn sie genauso aussahen wie die ersteren.
Sie hatten ihm einen Krug mit Wasser dagelassen. Gierig trank er.
Wo war er nur hereingeraten? Was hatte das alles zu bedeuten? Er war entführt worden, so viel war ihm klar. Aber wer waren die Männer und was wollten sie? Warum er? Wo waren seine Frau und seine Tochter? Um sie machte er sich die größten Sorgen. Was, wenn die rüden Männer die beiden verschleppt hatten und vergewaltigten? Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken und er bekam Angst. Er musste hier weg! Zu seiner Familie! Warum hatten sie sie nicht zu dritt mitgenommen? Es war zum Verzweifeln. Und er verstand kein einziges Wort, das die Männer sprachen. Er hätte zu gerne gewusst, was sie redeten. Wofür brauchten sie ihn? Welchen Zweck hatte er für sie? Zu Hause in Deutschland hatte er mit Landes- und Regionalpolitik zu tun, schrieb Bücher über die Gesellschafts- und Machtstruktur in der ehemaligen DDR oder das politische Mehrebenensystem der Bundesrepublik und die daraus resultierende Politikverflechtungsfalle. Ab und zu betätigte er sich auch als Berater für Wirtschaftsunternehmen. Wie irrelevant all dies nun erschien... Was wollten sie mit ihm? Niemals hatte er sich in ihre Angelegenheiten eingemischt. Die waren ihm sogar herzlich egal. Im Irak war er nur, weil ein seit kurzem hier lebender Freund und englischer Pharmazeuth ihn in Bagdad zu einem Arbeitstreffen bezüglich der Zusammenarbeit zwischen einem irakischen und einem deutschen Pharmazieunternehmen gebeten hatte.
Der Gedanke an ihn machte ihn wütend. Da auch ihre beiden Familien gut miteinander auskamen, waren P.s Frau und Tochter gleich mitgekommen. Wären sie doch bloß zu Hause geblieben! Von wegen sichere Innenstadt! Überall Militär und doch war es den Entführern gelungen, sie unbemerkt verschwinden zu lassen. Insgeheim verfluchte er den Freund. Warum lud der ihn auch in den Irak ein? Er hätte sofort auf seine Zweifel hören sollen.
Herrgott, Was hatten die Männer mit einem deutschen Buchautor und Berater vor? Gab es nicht tausend wichtigere Menschen, die man hätte entführen können?
Er dachte an sein Haus in München. An seine Frau, an seine Tochter. An seine manchmal öde, aber dafür völlig ungefährliche Arbeit. Er wollte zurück...

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Mittwoch, 5. März 2008
Im Irak - Pt. 1
1/7
Die unsanfte Fahrt in dem alten Kleintransporter war vorbei. Rüde wurde P. von einem der Männer am Arm gepackt und hochgehozogen. Es schien, dass er nun aussteigen sollte, doch noch immer waren ihm die Augen verbunden und seine Arme hinter dem Rücken gefesselt. Zögerlich stand er mit wackeligen Beinen auf und stolperte ein paar Schritte durch die Ladefläche des mit einer Plane überzogenen Transporters. Draußen wurden Türen von Autos zugeschlagen und laute Worte umhergerufen. Sie schienen aufgeregt zu sein, die Männer, und offensichtlich niemand machte sich mehr Mühe um Zurückhaltung, die in der Stadt noch an den Tag gelegt worden war.
Die Fahrt über war P. erstaunlich ruhig geblieben, obwohl er nichts sehen konnte, doch jetzt begann langsam Panik in ihm aufzusteigen. Der Mann, der ihn gepackt hatte, keifte ihn an. P. verstand kein Wort. Zack! Ohne Ankündigung bekam er einen heftigen Tritt in die Seite, verlor das Gleichgewicht und taumelte. Hart landete er mit dem Gesicht auf der steinige Fahrbahn. Er ächzte vor Schmerz, hatte den Sturz nicht einmal mit den Armen abfangen können. Wenn er nicht ohnehin schon nichts gesehen hätte, wäre ihm schwarz vor Augen geworden. Nun sah er zusätzlich Sterne und fühlte, wie das Blut an seiner brennenden Stirn herunterrann. Warum taten sie das? Was hatte er ihnen getan? Seine Gedanken waren wirr, voller Fragen und Selbstvorwürfe. Wäre er bloß nicht hier in den Nahen Osten gekommen!
Unter Stöhnen versuchte er aufzustehen und wieder wurde er von einem Mann am Arm gepackt und unsanft aufgerichtet. Man stieß ihn vorwärts und er wankte durch das Dunkel. Er schwitzte, es musste immer noch um die Mittagszeit sein und die Sonne brannte herunter. Die Luft war trocken und staubig, sein Mund voller Sand. Er hustete. Weitere Stoße führten ihn nun in eine andere Richtung und plötzlich wurde es kühler. Sie mussten in einem Haus sein, doch der Boden fühlte sich weiterhin rau und sandig an. Die Männer wurden allmählich ruhiger und riefen weniger laute Anweisungen herum. Sein Schädel brannte und während man ihn durch das Haus führte, spürte er die Ohnmacht in sich aufkommen.

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