Ein paar kurze Worte...
...über die Welt und auch ein bisschen über mich
Sonntag, 27. Mai 2007
Vollmond
Es war spät abends. Nein, eigentlich war es mitten in der Nacht. Der letzte Lichtstrahl war schon lange am Horizont verschwunden und der tägliche Trubel verflogen. Ein junger Mann lief alleine durch die beleuchteten Straßen der Vorstadt.
Er war auf dem Weg zu seiner Wohnung.
Der Abend mit seinen Freunden war nett gewesen, sie hatten viel erzählt und gelacht. Doch jetzt war es still um ihn herum und in seinem Kopf liefen die Bilder des Erlebten noch einmal ab. Gedankenverloren, aber zügig ging er voran und durchquerte einen kleinen Park. Durch die plötzliche Dunkelheit der fehlenden Straßenbeleuchtung bemerkte er erst jetzt, wie hell der Vollmond schien und ihm seinen Weg zeigte.
Ergriffen von seiner faszinierenden Klarheit blieb der junge Mann spontan stehen und blickte in den Himmel. Mitten im Park verharrte er und betrachtete die weiße Scheibe.
Und auf einmal wurde ihm bewusst, dass er noch nie etwas so Schönes gesehen hatte. Er war verzaubert von der Ferne, die auf einmal zum Greifen nah erschien. So weit weg schwebte dieser Mond durch das All, durch das auch er selbst schwebte.
Auf einmal fühlte er sich überwältigend gut, richtig gut. Er war Teil dieser Welt, so unbedeutend und doch ein Teil dieses Universums, in dem völlig andere Kräfte wirkten, als im irdischen Leben, unvorstellbare Weiten nichts Besonderes darstellten und die Existenz der Menschheit und all ihre Probleme nichts und niemanden interessierte. Die Welt rotierte mit oder ohne eine Menschheit. Völlig egal.
Doch der junge Mann war stolz auf diese Welt und stolz darauf, in ihr zu leben.
Er ließ seine Gedanken schweifen. Er dachte an den Sinn des Ganzen. Und weiterhin war er verzaubert von dieser schönen Nacht.
Allein die Vorstellung, dass diejenige, welche er sich ausgesucht hatte, diesen schönen Vollmond möglicherweise in diesem Moment ebenso betrachtete wie er oder es zumindest könnte, obwohl sie hunderte Kilometer weit entfernt war, ließ ihn lächeln.
Ein Auto bog um die Ecke und riss ihn aus seinen Gedanken. Verträumt sah er den roten Rücklichtern nach. Als sie verschwunden waren, ging er nach Hause.

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Mittwoch, 16. Mai 2007
Hab mich lieb! Bitte!
Ein Mädchen hatte früher einmal einen Hund gehabt. Als Haustier.
Das war nun schon einige Zeit her und nun bereute sie, was sie damals getan hatte. Sie fragte sich, warum sie nicht schon früher so empfunden hatte und schämte sich für dafür, wie sie sich verhalten hatte.
Als sie ihr Hündchen gerade bekommen hatte, war sie wie verliebt in ihn. Sie knuddelte ihn so oft es ging, spielte stundenlang mit ihm und verbrachte mehr oder weniger ihre gesamte Freizeit mit ihm. Sie waren kaum zu trennen und auch das kleine Hündchen liebte sein Frauchen.
Doch mit der Zeit begann die anfängliche Euphorie abzuschwächen. Gassi musste auch bei Schnee und Regen gegangen werden und Hunger hatte der Hund auch. Er musste gepflegt werden und bot auf Dauer nichts Neues mehr. Sie hatte sich an ihn gewöhnt und mochte ihn, doch er wurde langweilig. Andere Dinge waren interessanter und wenn sie sich mit ihren Freunden traf, musste sich der Hund hinten anstellen.
Sie hatte damals nicht im Geringsten geahnt, wie sehr es ihn traf, wie sehr er darunter litt. Seine Augen versuchten ihr immer wieder etwas zu sagen, doch sie schaute nicht hin.
Immer weniger kümmerte sie sich um ihn. Immer nerviger fand sie ihn.
Als sie eines Tages feststellte, dass er nicht mehr zurückkommen würde, nachdem sie ihn im Hundeauslaufgebiet freigelassen und in den Wald hatte laufen lassen, fühlte sie gar Anzeichen von Erleichterung.
Heute konnte sie es sich nicht mehr verzeihen, ihn so schlecht, so lieblos behandelt zu haben, dass er am Ende einfach fortgelaufen war. Sie war so eine egoistische Kuh gewesen!

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Samstag, 12. Mai 2007
Wüste
Es war heiß und er schwitzte erbärmlich. Die Luft war trocken und staubig und wenn ein Windzug kam, wirbelte er nur den warmen Sand auf und ließ jede Erfrischung vermissen. Seit Stunden war er unterwegs und er wusste nicht einmal was der Sinn seiner Wanderung war. Die Wüste war schier endlos. Ab und an sproß eine halb vertrocknete Pflanze zwischen einer Steinritze hervor, Dornsträucher und Sukkulenten, doch ansonsten war er umgeben von Stein und Sand. Keinerlei Lebenszeichen anderer Menschen.
Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Als ob er nie etwas anderes getan hätte, als in dieser kargen Steinlandschaft umherzuirren. Er wünschte sich eine Oase, Schatten, Wasser. Um endlich ein wenig trinken und sich auszuruhen zu können. Mehrfach sah er in der Ferne solche Inseln liegen, doch die Wüste war tückisch. Man durfte ihr nicht trauen.
Er wusste es, einige solcher Enttäuschungen hatte er schon hinter sich. Erst lächelt die Wüste einen an, zeigt scheinbar Einsicht und Verständnis für das Bitten. Sie präsentiert einem das lang ersehnte Glück, hält es einem vor die Nase, so nah, so greifbar. Doch wenn man dann versucht, jenen Ort zu erreichen, wird er kleiner und kleiner und je näher man ihm kommt, desto mehr entfernt er sich von einem. Bis man letztendlich schmerzvoll einsehen muss, dass man diesen Ort nie erreichen wird.
Also ging er ziellos umher, blickte zum vom Staub verwischten Horizont und versuchte, Trug und Realität voneinander unterscheiden zu lernen. Seine Reise würde noch lange andauern und seine Geduld noch vielen Proben ausgesetzt werden. Doch die Verzweiflung begann sich auszubreiten... Wo war der Sinn?

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Dienstag, 17. April 2007
Wach auf!
Vor einiger Zeit gab es einmal einen jungen Mann, der bald alt genug war, um seine Heimat zu verlassen und etwas Eigenes aus seinem Leben zu machen.
Dieser junge Mann hatte eine besondere Gabe, die allein ihm zuteil war: Er konnte im Traum Orte aus fernen Ländern sehen, er konnte erkennen, wie es dort zuging und wie man dort lebte. Dazu musste er lediglich, bevor er zu Bett ging, seinen alten Globus betrachten, den ihm sein Urgroßvater einst geschenkt hatte, und sich einige Zeit auf eine Stelle der Kugel konzentrieren.
Sobald er eingeschlafen war, erwachte seine Seele an jenem fernen Ort und beobachtete die Menschen und die Natur. Er konnte sehen, wie in China auf dem Markt die seltsamsten Tiere verkauft wurden, er konnte sehen, wie die Ureinwohner Australiens in den letzten Naturreservaten ihre Hütten bauten. Er konnte Schönes sehen. Er sah Menschen sich lieben, er schaute zu, wie sie ihre Kinder großzogen und er war dabei, wenn sie heirateten. Er sah gigantische Bauwerke, atemberaubende Landschaften und Tiere, die er sich nie vorzustellen gewagt hatte. Er konnte die gesamte Schönheit der Erde in seinen Träumen sehen, doch er sah auch die Schatten, die den Planeten durchzogen. Kriege, Ungerechtigkeit und Leid musste er so manches Mal ertragen, und wenn er aufwachte, lag er oftmals noch lange im Bett und sah an die weiße Decke seines kleinen Zimmers. Dann wusste er nicht, ob er seine Gabe verfluchen oder dessen dankbar sein sollte. Es war nicht leicht für ihn, damit umzugehen.
Doch der junge Mann tat es oft. Er wollte wissen, wie es in der Welt zuging. Meist reisten seine Träume in weit entlegene Länder und Städte, wo er staunen konnte und es niemals langweilig werden konnte, doch ab und zu besuchten sie auch sein Nachbardorf. Dort wohnte das Mädchen, das er vor einiger Zeit kennengelernt hatte. Er stand dann neben ihrem Bett und betrachtete ihr friedliches Gesicht, während sie schlief. Des öfteren stand er lange bei ihr, ohne dass sie jemals etwas davon merkte.
Er hätte es vermutlich noch lange Zeit so getan, hätte er nicht eines Tages seinen Traum in sein eigenes Haus getragen. Dort sah er letztendlich sich selbst. Er sah sich, wie er da lag und träumte.
Dies war der Moment, in dem er sich schwor, nie wieder zu träumen.
Am nächsten Morgen brach er in aller Frühe auf.
Er kehrte nie wieder nach Hause zurück.

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Montag, 19. März 2007
Am Abgrund
Die Aussicht war gigantisch. Sie konnte beinahe über die ganze Stadt sehen. Wenn sie sich umdrehte, blickte sie hinüber zum Dom und im Westen waren sogar die Berge zu erkennen. Sie stand dort und ließ ihren Blick schweifen, sah in die Ferne und bekam beinahe das Gefühl, fliegen zu können. Der Straßenlärm des Nachmittagsverkehrs drang zu ihr hinauf, doch die einzelnen Geräusche vermischten sich zu einem großen Brei, aus dem nur wenige individuelle Fahrzeuge herausstachen. Jemand hupte. Sie sah hinunter. Wie kleine Ameisen krochen die Autos auf den Straßen, bogen um die Ecken oder warteten an den Ampeln. Zum Glück war sie schwindelfrei. Gut, eigentlich wäre es möglicherweise sogar hilfreich gewesen, es nicht zu sein. Zumindest wäre ihr eine Entscheidung womöglich abgenommen worden. Doch es war noch nicht so weit. Sie wollte erst noch eine Weile nachdenken.
Sie hatte es sich bereits gut überlegt und sich für diesen Weg entschieden. Jetzt, wo sie aber hier war, konnte sie es nicht so einfach tun.
Sie blickte wieder auf. Die tief stehende Sonne schob sich zwischen den Wolken hervor und hüllte die Stadt in ein warmes, beruhigendes Licht. Der Dom, die Hochhäuser, der Fernsehmast, sie alle schienen sich zufrieden in den wohltuenden Sonnenstrahlen zu räkeln.
"Tu es. Jetzt! Sonst ist es zu spät."
"Einen Moment noch." Sie sah zur Sonne. Sie begann, langsam den abendlichen Rotstich zu bekommen. Auf einmal fühlte sie den kalten Ostwind nicht mehr.
"Na los. Du hast es so entschieden, also steh auch dazu!"
"Ja ich... bin gleich soweit."
"Worauf wartest du? Es wird niemand kommen, der dich rettet. Niemand wird dir eine Träne nachweinen. Also los jetzt."
Die Stimme hatte ja Recht, nur sie sagte Dinge, die sie nicht hören wollte. Sie wollte, dass jemand kommen würde, um sie zu retten. Sie wollte, dass die Leute ihr nachweinten. Doch es war ihre eigene Stimme, die da zu ihr sprach, und sie hatte Recht.
Noch immer stand sie da. Eine Brise fuhr ihr durchs Haar und ließ es herumwirbeln. Wieder sah sie nach unten. Es hatte sich nichts verändert. Die Menschen gingen ihre alltäglichen Wege. Niemand sah, dass sie hier oben stand. Sie würden es erst merken, wenn sie unten auf der Straße läge. Dann wäre dort unten ein Chaos, sofort würden Schaulustige gaffen und sich eine Menschenmenge hätte sich sofort um sie gebildet. Sie wäre endlich einmal der Mittelpunkt des Geschehens. Sie würde endlich einmal Aufmerksamkeit bekommen.
"Eben! Genau deshalb hast du dich so entschieden."
Hatte sie das wirklich? Ja. Hatte sie. Deshalb war sie hier.
Die Sonne strahlte sie nach wie vor mit ihrer ganzen Schönheit an. Jetzt war der Moment gekommen.
Sie schloss die Augen, drehte sich um und tat einen Schritt...
Der Kies auf dem Dach knirschte unter ihrem Gewicht, als sie zur Treppe lief. Auf wackligen Beinen ging sie die Stufen hinab und schlich sich zum Fahrstuhl. Auf der Straße angekommen, sah sie in die Gesichter der Menschen, so gleichgültig, müde und normal wie sie waren. Wenn die nur wüssten...
Sie musste lächeln. Und sie fühlte sich gut. Verdammt gut.

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Freitag, 9. März 2007
Match des Lebens
Es war das Match seines Lebens gewesen. Sein bislang größter Erfolg. Den letzten Matchball hatte er quasi als die Krönung mit einem As für sich entschieden. Danach war der Jubel groß. In seinem Freudentaumel vergaß er beinahe, seinem Gegner wie es sich gehört die Hand zu schütteln, sein Trainer sowie sämtliche Mannschaftsbetreuer beglückwünschten ihn stürmisch, umarmten ihn und ließen ihn hochleben. Es war das Höchste der Gefühle, er badete im Siegesrausch. Er war der Beste. Der Beste von allen 32 angetretenen Spielern. Wahnsinn!
Am Abend wurde gefeiert. In der Kneipe tranken seine Freunde und Verwandten Runde um Runde auf ihn und seinen Sieg und recht bald war die Stimmung auf dem Höhepunkt. Es wurde gelacht, Witze schallten durch den Raum und ein jeder war mit dem Alkohol gut dabei. Auch er selbst trank einige Bier und konnte zu den Tequila-Runden nicht Nein sagen.
Am liebsten wäre er endlos geblieben, hier mit seinen Freunden, den Menschen, die er am liebsten hatte. Doch viel zu bald war es an der Zeit, den Heimweg anzutreten und sich endlich auszuruhen, in Gedanken das Erlebte noch einmal durchzugehen.
Als er dann die Haustüre jedoch hinter sich schloss und allein in der Wohnung stand, begann die Stille ihn zu erdrücken. Er verharrte auf dem Flurteppich und stierte gedankenverloren vor sich auf den Boden. Wie auf Knopfdruck war seine Stimmung im Keller, eine große Leere breitete sich in ihm aus. Bilderfetzen von Spielszenen heute Mittag wanderten vor seinen Augen umher. Doch er konnte sich nicht mehr freuen. Er fühlte sich verlassen und einsam.
Dabei hätte er so gerne einmal mit jemandem geredet. Richtig geredet.

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Dienstag, 20. Februar 2007
Ein einfaches Leben
Seit einigen Stunden waren sie nun schon unterwegs auf dem ruhigen verwinkelten See. Es war windstill und bis auf das Tuckern des Motors kaum ein Laut zu vernehmen. Manch einer würde sicherlich am Angeln nicht sonderlich viel Begeisterung finden und die grüne, feuchte, niedrig gewachsene Natur der Insel mit dem Atlantik-Klima langweilig und uninteressant finden.
Doch für die beiden Männer auf dem kleinen Boot war es wie eine Idylle. Die Unberührtheit der Seenlandschaft war für sie heilsam und beruhigend. Sie genossen es, auf dem See dahinzutreiben und die Angeln auszuwerfen.
Viel hatten sie heute nicht gefangen, doch ein paar ordentliche Welse waren schon dabei. Sie lagen in der Wanne am Heck. Heute Abend würden ihre Frauen wie so oft ihren Fang zubereiten und zu einem schmackhaften Mahl verarbeiten.
Doch das Essen ihrer gefangenen Fische war nur das I-Tüpfelchen eines geduldigen und wortkargen Tages, den die beiden Männer in der Regel gedankenversunken verlebten, unterbrochen von den spannenden Momenten, in denen die Rute eingeholt wurde und ein weiterer Fisch am Haken zappelte. Dann herrschte kurzzeitig Aufregung. Doch schon wenige Minuten später sahen beide wieder träumend ins Wasser, den Gedanken freien Lauf lassend.
So vergingen weitere Stunden. Als es dunkel zu werden begann, machten sie sich zurück durch die vielen länglichen Seen auf den Heimweg. Die Wanne war einigermaßen gut gefüllt und die beiden Männer zufrieden. Heute Abend würden sie gut gelaunt und redefreudig mit ihren Familien zu Abend essen.
Es war ein einfaches Leben, das sie führten. Sie verdienten ihr Geld im nächstgelegenen größeren Ort, am Wochenende fuhren sie raus auf die Seen.
Sicher würden viele meinen, ihr Dasein sei abwechslungslos und trist, doch immerhin konnten die beiden Männer mit Sicherheit sagen, wer sie waren.

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Samstag, 10. Februar 2007
Feuerrot
Er stand früh auf, sehr früh. Es war noch stockdunkel und das bedeutete um diese Jahreszeit, dass es wirklich früh war.
Seine Sachen, die er für den Tag benötigte, hatte er bereits am Abend zuvor gepackt. Der Rucksack war gut gefüllt. Sich den Schlaf aus den Augen wischend, stieg er die Holztreppe herunter und schmierte sich in der kalten Küche zwei Brote. Hunger hatte er noch keinen, doch mit völlig leerem Magen sollte er nicht losgehen.
Müde kauend, doch mit Aufbruchsstimmung im Bauch blickte er durchs Fenster in den Nachthimmel. Es war keine Wolke auszumachen, die Sterne funkelten klar und zum Greifen nah. Es war perfekt.
Er trank noch einige Schlucke Wasser und zog sich an. Die Ausrüstung war nicht die bequemste, aber die praktischste für das, was er vor hatte. Die Stiefel waren schwer, doch robust. Die Jacke würde er später nicht mehr brauchen, doch in den Morgenstunden war es noch sehr kalt und feucht.
Es war kurz nach 4 Uhr morgens, als er das Haus verließ. Sofort drang ihm die klare, kalte Nachtluft in die Glieder. Doch er begann sofort zu gehen und mit der Zeit würde ihm warm werden.
Die vereinzelten Häuser waren alle noch dunkel, die Welt schlief noch tief und fest. Kein Vogel zwitscherte, kein Kuhglockenläuten war zu hören. Es war unglaublich still.
Seine Schritte knirschten im nassen Kies auf der unbefestigten Straße. Er setzte Schritt vor Schritt, sog die Luft durch die Nase ein und genoss es. Nun konnte er seinen Gedanken freien Lauf lassen. Seine Füße würden ihn tragen und er brauchte nichts weiter zu tun, als ihnen zu folgen.
Er blickte nach oben. Sein Ziel konnte er dunkel ausmachen. Es lag noch so weit entfernt von ihm und es würde lange dauern, bis er es erreicht hatte. Doch er hatte Zeit. Er würde es auf jeden Fall rechtzeitig schaffen.
Mit jedem Schritt bergauf fand er besser hinein in seinen Trott.
Bald hatte er die Straße und den ersten dichten Wald hinter sich gelassen und die weiten Wiesen betreten, durch deren vom Tau feuchtes Gras sich der Weg nun schlängelte. Seine Waden wurden nass, doch es war eine willkommene Erfrischung. Ihm war nun schon etwas warm vom Bergauf-Steigen, sein Kreislauf begann zu arbeiten.
Noch war der Himmel dunkel, doch der Morgen war bereits ein wenig zu erahnen. Hier und dort hörte er im Gebüsch ein Rascheln. Kaninchen oder Rehe vermutlich.
Er ging weiter, ohne Pause zu machen. Es ging stetig bergauf. Nach einer Weile hatte er die weiten Almwiesen hinter sich gelassen und war wieder in einem Waldstück. Dieses war jedoch niedriger und lichter und der Untergrund steinig. Er stieg einen nun noch steileren, sich eng durch die Bäume windenden Weg hinauf, links und rechts lagen jetzt dunkel und majestätisch einige große Felsbrocken, die einst vom Berg abgebrochen und hier zum Liegen gekommen waren. Er musste sich auf seine Schritte konzentrieren, um nicht auf unförmigen Steinen umzuknicken. Der Weg war nicht mehr so glatt und gepolstert wie zuvor. Auf den Boden blickend ging er weiterhin wie von einer unhörbaren Stimme gerufen voran.
In seinen Gedanken schwirrte ein Lied umher und er pfiff es mit schwerem Atem leise in den frühen Morgen mit. Es war weder sein Lieblingslied, noch hatte er es in der letzten Zeit besonders oft gehört, aber jetzt war es optimal, um einen Rhythmus zu bekommen, an dem man das Setzen seiner Schritte orientieren konnte.
Während er im Ohr jenes Lied hörte, waren seine Gedanken völlig woanders. Bilder und Szenen vom letzten Monat flogen ihm vor den Augen umher, als er es auf der großen Feier endlich gewagt hatte. Ihre Augen und ihr Gesicht wollten einfach nicht verschwinden, doch er wusste, dass sie es besser täten, um ihn nicht wieder missmutig zu stimmen. Aber er konnte es nicht kontrollieren. Seine Gedanken waren stärker als sein Wille und so gab er sich der Erinnerung hin...
Er merkte nicht, wie die Bäume immer niedriger wurden, wie die Steine immer mehr und größer seinen Weg säumten und wie hoch er mittlerweile schon gekommen war.
Bald darauf hatte er die letzte Pflanze hinter sich gelassen, um ihn herum befanden sich reine Schotterhänge. Der Weg führte über sie hinweg und man konnte seinen Verlauf schon hunderte Meter im Voraus betrachten. Dies ging, denn inzwischen hatte sich der Himmel erhellt. Das Schwarz war einem leichten Blaustich gewichen und die teilweise gigantischen Berggipfel rings umher waren deutlich auszumachen.
Für heute war sein Ziel keiner dieser hohen Berge. Ihm reichte der, auf dessen letzten Kilometer Bergauf er sich gerade befand. Für das, was er sehen wollte, war dieser Berg perfekt.
Je höher er kam, desto windiger wurde es. Und desto kälter. Noch schwitzte er vom anstrengenden Gehen, doch bevor er sich oben noch erkältete, zog er sich die Jacke lieber gleich über. Es war nicht mehr weit. Bald hatte er es geschafft, vielleicht zehn Minuten noch, dann würde er auf die andere Seite hinunterblicken können.
Das letzte Stück erwies sich als das schwierigste. Es wurde nun richtig steil und einige Male musste er für eine besonders hohe "Stufe" mehrere Anläufe nehmen und sich sich an dem im Stein befestigten Sicherheitsdraht festhalten. Doch das machte ihm Spaß. So musste Bergsteigen sein!
Im Gedanken daran, den Gipfel gleich erreicht zu haben, beschleunigte sich die Frequenz seiner Schritte noch einmal. Die Anstrengung war vergessen, als er das Kreuz ganz oben sah.
Die letzten Meter ging er wieder bedächtig, wissend, welcher Anblick ihn beim Hinuntersehen ins gegenüberliegende Tal bot. Erschöpft und respektvoll stand er am Rand und sah die nahezu senkrecht abfallende Wand hinunter. Es war jedes Mal wieder ein besonderes Gefühl hier zu stehen. Tief unter ihm plätscherte lautlos ein Bach und wand sich langsam durch das Tal mit seinen nun langsam zum Leben erweckten Örtchen.
Er ging zum Gipfelkreuz. Und wartete.
Sein Timing war ziemlich gut, wie er fand. Es dauerte nur ein paar wenige Minuten, da war es soweit. Er blickte nach Osten.
Am Horizont begann sich langsam, aber unaufhaltsam eine feuerrote, in der Luft schimmernde Scheibe zwischen den weit entfernten Berggipfeln emporzuschieben. All die so kahlen, steinernen Felswänden ringsumher verlieh sie eine ebensolch leuchtende Farbe. Die Alpenberggipfel wurden von den ersten Sonnenstrahlen des Morgens gekitzelt. Ein neuer Tag begann.
Er stand da und schaute die glühende Scheibe an.
Seine Gedanken waren leer, doch sein Herz wurde warm.
Und dafür hatte es sich gelohnt.

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Freitag, 2. Februar 2007
Nur Nacht
Er war alleine, doch irgendwie genoss er es. Er war todtraurig, doch irgendwie machte ihm das im Moment nichts aus.
Die ruhige Musik stimmte ihn friedlich und entspannt. Er verschmolz mit ihr und der nächtlichen Stille. Die einfühlsame nahezu monotonen Töne und Rhythmen berührten ihn sanft, ließen ihn träumen.
Leise seufzend blickte er zum Mond und fragte sich, wann er sich wieder neu verlieben könnte.
Es würde sicher wieder passieren, doch im Moment brauchte er keine Liebe. Der Mond fesselte seinen Blick und saugte all seine Gefühle in sich auf. Es war, als ob die gelbe Scheibe dort am Nachthimmel eine Decke der Zufriedenheit über ihn legte. Es war alles gut. Die Welt drehte sich weiter. Es war nur Nacht. Nur Nacht.
Er atmete noch einmal tief ein, nachdem die Musik verklungen war und ging zu Bett.
Morgen würde die Sonne wieder scheinen.

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Freitag, 19. Januar 2007
Royal Flush
Schlagartig fing K.'s Herz an laut hörbar zu pochen. Bum. Bum. Bum. All seine Sinne waren angespannt, das Adrenalin stieg ihm in den Kopf. Seine Gedanken waren wirr und er war nicht mehr Herr seiner selbst. Seine ganze Konzentration musste er dafür aufbringen, sich nichts anmerken zu lassen. Er hoffte, dass es nicht auffallen würde.
Eigentlich hatte er gar nichts. Bislang. Doch es konnte etwas werden.
Er versuchte still zu stehen, aber sein ganzer Körper schien unkontrollierbar hin und her zu schwanken. Lag das am langen Sitzen zuvor oder an dem leichten Schwindel, der ihn befiel? Wenn das mal nur gut ging...
Er fing an zu schwitzen. Ihm gegenüber saß der feine Herr mit dem französischen Namen und dem gekünstelten Lächeln, zu seiner Linken ein unscheinbarer jüngerer Mann, dessen Emotionen genauso unauffällig waren wie seine Erscheinung. Am ehesten einschätzen konnte er seinen rechten Tischnachbarn. Er war ein Südländer, um die 50 und offensichtlich ein schlechter Verlierer. Nahezu jedes Mal wenn er verlor, wurde er rot vor Wut und fluchte leise auf einer ungewohnt klingenden Sprache in seinen grauen Bart.
All diese Beobachtungen jedoch waren wie ausgeblendet. K. versuchte, klar zu denken, versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Der Südländer regte sich. Langsam bewegten sich seine Finger zu den Chips.
Call.
K.'s Atem wurde anstrengender. Der unscheinbare Junge hatte gleich gefoldet, der Franzose jedoch hatte soeben um weitere Fünftausend erhöht. Er konnte es sich leisten. Es tat beinahe weh und eine gewisse Wut keimte im Bauch auf, wenn K. zu ihm rüber sah und dessen Gewinn betrachtete.
Er hatte nichts mehr zu tun. Er konnte nur noch hoffen. Hoffen auf den River. Die Chancen auf die eine Karte waren gering, das wusste er. Doch er musste es riskieren, denn lange hätte er nicht mehr durchgehalten.
Er schloss für einen kurzen Moment die Augen und stellte sie sich vor, die Karte. Wie sie aufgedeckt würde.
Es war seine letzte Chance. Alles oder nichts.
Und es war möglich. Es war möglich, dass es das Spiel seines Lebens werden würde. Er war sofort nach dem Flop All-In gegangen. Der Franzose und der Südländer hatten sich weiter hochgetrieben, auch nach der vierten Karte, Herz-Vier. Die hatte K. wenig genützt. Nein, sie hatte ihm wirklich kein bisschen genützt.
Nun lag eine solch hohe Summe im Pot, dass ihm schon beim Gedanken an die Zahl ein Schauer über den Rücken fuhr. Gleich würde er wissen, wem diese für ihn ungeheure Summe gehören würden.
As 10 suited. Herz. Klar, dass er es tun musste, nachdem der Bube und der König neben der Karo-4 im Flop lagen. Wenn SIE doch nur noch käme...!
Kommt sie nicht, dann war es das. Nicht nur heute Abend. Eine Welt würde zusammenstürzen. Vollends zusammenstürzen, denn es war nur ein hauchdünner Faden, an dem sie noch gehalten wurde.
Der Croupier blickte ein letztes Mal in die Runde. Seine Hand legte die Bum Card zur Seite und griff die nächste. Wie in Zeitlupe schob er den River neben den Turn.
Er war im Begriff die Karte umzudrehen, da fiel K. jemand aus dem Augenwinkel auf. Als er genau hinsah, konnte er sie deutlich erkennen:
Es war seine Herzdame. Und sie lächelte ihn an.

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