Ein paar kurze Worte...
...über die Welt und auch ein bisschen über mich
Samstag, 10. Februar 2007
Feuerrot
Er stand früh auf, sehr früh. Es war noch stockdunkel und das bedeutete um diese Jahreszeit, dass es wirklich früh war.
Seine Sachen, die er für den Tag benötigte, hatte er bereits am Abend zuvor gepackt. Der Rucksack war gut gefüllt. Sich den Schlaf aus den Augen wischend, stieg er die Holztreppe herunter und schmierte sich in der kalten Küche zwei Brote. Hunger hatte er noch keinen, doch mit völlig leerem Magen sollte er nicht losgehen.
Müde kauend, doch mit Aufbruchsstimmung im Bauch blickte er durchs Fenster in den Nachthimmel. Es war keine Wolke auszumachen, die Sterne funkelten klar und zum Greifen nah. Es war perfekt.
Er trank noch einige Schlucke Wasser und zog sich an. Die Ausrüstung war nicht die bequemste, aber die praktischste für das, was er vor hatte. Die Stiefel waren schwer, doch robust. Die Jacke würde er später nicht mehr brauchen, doch in den Morgenstunden war es noch sehr kalt und feucht.
Es war kurz nach 4 Uhr morgens, als er das Haus verließ. Sofort drang ihm die klare, kalte Nachtluft in die Glieder. Doch er begann sofort zu gehen und mit der Zeit würde ihm warm werden.
Die vereinzelten Häuser waren alle noch dunkel, die Welt schlief noch tief und fest. Kein Vogel zwitscherte, kein Kuhglockenläuten war zu hören. Es war unglaublich still.
Seine Schritte knirschten im nassen Kies auf der unbefestigten Straße. Er setzte Schritt vor Schritt, sog die Luft durch die Nase ein und genoss es. Nun konnte er seinen Gedanken freien Lauf lassen. Seine Füße würden ihn tragen und er brauchte nichts weiter zu tun, als ihnen zu folgen.
Er blickte nach oben. Sein Ziel konnte er dunkel ausmachen. Es lag noch so weit entfernt von ihm und es würde lange dauern, bis er es erreicht hatte. Doch er hatte Zeit. Er würde es auf jeden Fall rechtzeitig schaffen.
Mit jedem Schritt bergauf fand er besser hinein in seinen Trott.
Bald hatte er die Straße und den ersten dichten Wald hinter sich gelassen und die weiten Wiesen betreten, durch deren vom Tau feuchtes Gras sich der Weg nun schlängelte. Seine Waden wurden nass, doch es war eine willkommene Erfrischung. Ihm war nun schon etwas warm vom Bergauf-Steigen, sein Kreislauf begann zu arbeiten.
Noch war der Himmel dunkel, doch der Morgen war bereits ein wenig zu erahnen. Hier und dort hörte er im Gebüsch ein Rascheln. Kaninchen oder Rehe vermutlich.
Er ging weiter, ohne Pause zu machen. Es ging stetig bergauf. Nach einer Weile hatte er die weiten Almwiesen hinter sich gelassen und war wieder in einem Waldstück. Dieses war jedoch niedriger und lichter und der Untergrund steinig. Er stieg einen nun noch steileren, sich eng durch die Bäume windenden Weg hinauf, links und rechts lagen jetzt dunkel und majestätisch einige große Felsbrocken, die einst vom Berg abgebrochen und hier zum Liegen gekommen waren. Er musste sich auf seine Schritte konzentrieren, um nicht auf unförmigen Steinen umzuknicken. Der Weg war nicht mehr so glatt und gepolstert wie zuvor. Auf den Boden blickend ging er weiterhin wie von einer unhörbaren Stimme gerufen voran.
In seinen Gedanken schwirrte ein Lied umher und er pfiff es mit schwerem Atem leise in den frühen Morgen mit. Es war weder sein Lieblingslied, noch hatte er es in der letzten Zeit besonders oft gehört, aber jetzt war es optimal, um einen Rhythmus zu bekommen, an dem man das Setzen seiner Schritte orientieren konnte.
Während er im Ohr jenes Lied hörte, waren seine Gedanken völlig woanders. Bilder und Szenen vom letzten Monat flogen ihm vor den Augen umher, als er es auf der großen Feier endlich gewagt hatte. Ihre Augen und ihr Gesicht wollten einfach nicht verschwinden, doch er wusste, dass sie es besser täten, um ihn nicht wieder missmutig zu stimmen. Aber er konnte es nicht kontrollieren. Seine Gedanken waren stärker als sein Wille und so gab er sich der Erinnerung hin...
Er merkte nicht, wie die Bäume immer niedriger wurden, wie die Steine immer mehr und größer seinen Weg säumten und wie hoch er mittlerweile schon gekommen war.
Bald darauf hatte er die letzte Pflanze hinter sich gelassen, um ihn herum befanden sich reine Schotterhänge. Der Weg führte über sie hinweg und man konnte seinen Verlauf schon hunderte Meter im Voraus betrachten. Dies ging, denn inzwischen hatte sich der Himmel erhellt. Das Schwarz war einem leichten Blaustich gewichen und die teilweise gigantischen Berggipfel rings umher waren deutlich auszumachen.
Für heute war sein Ziel keiner dieser hohen Berge. Ihm reichte der, auf dessen letzten Kilometer Bergauf er sich gerade befand. Für das, was er sehen wollte, war dieser Berg perfekt.
Je höher er kam, desto windiger wurde es. Und desto kälter. Noch schwitzte er vom anstrengenden Gehen, doch bevor er sich oben noch erkältete, zog er sich die Jacke lieber gleich über. Es war nicht mehr weit. Bald hatte er es geschafft, vielleicht zehn Minuten noch, dann würde er auf die andere Seite hinunterblicken können.
Das letzte Stück erwies sich als das schwierigste. Es wurde nun richtig steil und einige Male musste er für eine besonders hohe "Stufe" mehrere Anläufe nehmen und sich sich an dem im Stein befestigten Sicherheitsdraht festhalten. Doch das machte ihm Spaß. So musste Bergsteigen sein!
Im Gedanken daran, den Gipfel gleich erreicht zu haben, beschleunigte sich die Frequenz seiner Schritte noch einmal. Die Anstrengung war vergessen, als er das Kreuz ganz oben sah.
Die letzten Meter ging er wieder bedächtig, wissend, welcher Anblick ihn beim Hinuntersehen ins gegenüberliegende Tal bot. Erschöpft und respektvoll stand er am Rand und sah die nahezu senkrecht abfallende Wand hinunter. Es war jedes Mal wieder ein besonderes Gefühl hier zu stehen. Tief unter ihm plätscherte lautlos ein Bach und wand sich langsam durch das Tal mit seinen nun langsam zum Leben erweckten Örtchen.
Er ging zum Gipfelkreuz. Und wartete.
Sein Timing war ziemlich gut, wie er fand. Es dauerte nur ein paar wenige Minuten, da war es soweit. Er blickte nach Osten.
Am Horizont begann sich langsam, aber unaufhaltsam eine feuerrote, in der Luft schimmernde Scheibe zwischen den weit entfernten Berggipfeln emporzuschieben. All die so kahlen, steinernen Felswänden ringsumher verlieh sie eine ebensolch leuchtende Farbe. Die Alpenberggipfel wurden von den ersten Sonnenstrahlen des Morgens gekitzelt. Ein neuer Tag begann.
Er stand da und schaute die glühende Scheibe an.
Seine Gedanken waren leer, doch sein Herz wurde warm.
Und dafür hatte es sich gelohnt.

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Eine schöne Geschichte über lohnende Anstrengungen und individuelle Freuden.

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