Ein paar kurze Worte...
...über die Welt und auch ein bisschen über mich
Dienstag, 1. November 2011
Nachmittags in der Mensa
Die dicke Frau hinter der Theke klatscht mir zum Glück einen zweiten Schöpfer Hühnerfrikassee auf den Teller. "Jemüse?"
"Nee, danke."
Pah, Gemüse? Die paar nach nichts schmeckenden Dosen-Möhrchen nennt sie Gemüse? Mir reichen die paar Erbsen im Reis, das sind genug Vitamine für drei Tage.
"Biddeschööön, juten Appetit!"
"Danke."
Vielleicht werde ich ja doch irgendwie satt.

Wenn man lange genug hier essen war, kennt man irgendwann die Tricks, wie man am ehesten spart und doch annähernd satt wird. Während es nämlich um die Mittagszeit so voll ist, dass die Schlange aus Studenten und Mitarbeitern der umliegenden Institute bis draußen vor die Tür reicht und sich mit der Schlange vorm Prepaid-Automaten verheddert, an dessen Kopf die Hälfte der Leute dann ihre Karte doch nicht auflädt, ist es jetzt um diese Zeit ruhig, denn in 15 Minuten schließt die Essensausgabe. Da müssen die Reste natürlich noch schnell weg und die wenigen Hungrigen, die so spät noch auf die Idee kommen, Mittag zu essen, kommen in den Genuss, ein wenig mehr vom Übriggebliebenen auf den Teller gepantscht zu bekommen, so dass die Menge in Kombination zur Qualität sogar in etwa dem Preis gerecht wird.
Ich kratze mir noch, wie üblich, einen mit 70 Cent viel zu teuren Joghurt aus den Resten im Joghurtbottich zusammen. Die begehrten Fruchtstückchen sind längst herausgeklaubt worden, aber ein fruchstückloser Joghurt ist immer noch besser als gar keiner, auch wenn er halt viel zu teuer ist. Aber diesen Luxus gönne ich mir seit geraumer Zeit.

Es bringt jedoch nicht nur Vorteile, spät Mittag essen zu gehen. Je weniger Kunden, desto mehr fällt die Unfreundlichkeit der Mensa-Tanten auf den einzelnen. Die Tanten in orange neigen zum Beispiel dazu, möglichst laut und hektisch ihren Arbeitstag enden zu lassen, rennen hin und her und ziehen einem, kaum hat man aufgegessen, das Tablett unter der Nase weg, um es abspülen und Feierabend machen zu können. Das ist so eine Unannehmlichkeit, die man halt in Kauf nehmen muss, wenn man der letzte Mensagänger am Tag ist und alles nur noch darauf wartet, dass du endlich alles in dich hineingeschlungen hast und dich verdünnisierst.
Ich mag es grundsätzlich nicht, wenn alles auf mich wartet. Deshalb habe ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich der Letzte bin. Heute jedoch sitzt noch ein anderer Gast ganz alleine an einem der vielen Tische und kaut vor sich hin.
Sehr gut, dann kann ich mir ja Zeit lassen.

Ich schiebe Löffel für Löffel Hühnerfrikassee in mich rein und lese dabei Seite um Seite eines lustigen Buchs. Ab und zu schaue ich auf.
Gut, der Kerl sitzt auch noch da. Ich lese beruhigt weiter.
Ich fühle mich bereits einigermaßen gefüllt, gehe zum Joghurt über und erwarte eigentlich jeden Moment die unfreundliche Mensa-Hexe, die sonst immer ungeduldig herumtigert und dann alle zwei Minuten schaut, wie weit ich mit dem Essen bin. Doch es kommt eine andere Mensa-Tante und fängt an, am Nebentisch in einer Schüssel irgendeinen Teig zu rühren. Ist in der Küche gerade Party, dass dort kein Platz ist, frage ich mich stirnrunzelnd und lese weiter.
Auf einmal kommt sie an meinen Tisch und klaut mir den Zuckerstreuer. Nicht dass ich den jetzt brauchen würde für meinen Joghurt, aber auf jedem anderen Tisch steht doch ebenfalls Zucker. Ich schaue nicht auf, sondern versuche nur leicht verwundert und verärgert, mich wieder auf den Satz zu konzentrieren, aus dem sie mich gerade herausgerissen hat. Die Tante entfernt sich wieder und streut etwas Zucker in ihre Schüssel. Was zur Hölle...?
Plötzlich kommt sie wieder und klaut die bunten Fähnchen von meinem Tisch.
Ich blicke nun ernsthaft irritiert auf und sehe mich um. Hm, okay, auf allen anderen Tischen fehlen die Fähnchen, die letzte Woche überall als Deko zu finden waren, bereits. Gut, offenbar ist die Aktionswoche vorbei, sage ich mir, und lese weiter.
Doch die Tante kommt tatsächlich ein drittes Mal und fummelt einfach mal am Salz- und Pfefferstreuer herum, der von mir allerdings WIRKLICH gebraucht wird. Zwar nicht für den Joghurt, aber um mein Buch aufgeschlagen zu halten: Ich habe es so befestigt, dass es im Griff der Streuerhalterung eingeklemmt ist und ich die Hände frei habe zum Essen. Und da kommt diese blöde dreiste Tante und rüttelt ohne mir ersichtlichen Grund an dem Streuer rum, so dass mein Buch natürlich zuklappt und ich nicht mehr weiß, auf welcher Seite ich gerade war. Super! Danke, blöde Tante! Es gibt ja auch sonst keinen Tisch, auf dem Salz und Pfeffer stehen... Da muss man schon den einzigen besetzten Tisch wählen, um... Moment mal, mir fallen zwei Dinge schlagartig auf. Erstens nimmt sie weder Salz noch Pfeffer mit, sondern geht unverrichteter Dinge und mich mit zugeklapptem Buch und zusammengezogenen Augenbrauen zurücklassend einfach wieder zu ihrer Schüssel, und zweitens bin ich ja wirklich der einzige besetzte Tisch. Der Kerl von da drüben ist verschwunden und ich bin mal wieder der Letzte.
Vielleicht sollte das von ihr ein dezenter Hinweis sein, dass es Zeit ist, nun endlich zu spachteln und den Speisesaal geschwind zu verlassen. Ich bin zwar tatsächlich einigermaßen satt, doch ich finde, dass man das Unterhaltungsprogramm für die Spätesser künftig von dicken, Teig rührenden, aufdringlichen Mittfünfzigern besser in niedliche Tabledancerinnen Anfang 20, die aber gerne genauso aufdringlich sein dürfen, tauschen sollte. Das wäre zumindest deutlich kundenfreundlicher. Vielleicht schlage ich das der Mensaverwaltung mal vor. Freie Tische gäbe es um diese Uhrzeit jedenfalls genug.

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