Ein paar kurze Worte...
...über die Welt und auch ein bisschen über mich
Dienstag, 27. Mai 2008
Bitte, tanz wieder!
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<< Es ist lange her, seit ich ihn getroffen habe. Wisst ihr, über die Jahre hinweg vergisst man so manches. Es passieren viele Dinge und je länger etwas her ist, desto weniger hat man davon in Erinnerung. Doch so wie mir werden auch euch Momente für immer im Gedächtnis bleiben.
Momente, die einen zum Nachdenken bringen. Die etwas Überwältigendes haben. Ich will euch eine Geschichte erzählen, es ist schon lange her. Ich weiß nicht, wie lange. Damals war ich noch jung. Jung und wild, ich zog viel herum und machte nicht immer alles richtig. Ja, es war eine schwere Zeit. Ich weiß noch, wie ich damals in diesen Laden gegangen bin, mit meinen vielleicht siebzehn Jahren... In diesen Laden und herausgekommen bin ich als Mann. Ich fühlte mich stark, ganz plötzlich, es war ein tolles Gefühl. Aber gefährlich. Ja, eine schwere Zeit... Lange her.
Ich war am Ende, ganz unten und auf einmal war ich im Gefängnis. Ich hatte jemanden erschossen. Nein, nicht absichtlich. Es war, ... ich weiß es nicht mehr... zu lange her... Diese ganze Zeit war schuld, es war keine gute Zeit.
Aber lasst mich erzählen.
Dort, in New Orleans im Gefängnis, dort war es noch viel dreckiger als im Leben draußen. Noch weniger Sinn und es gab nichts für mich, das mich aufrecht halten konnte. Ich wollte einfach nur wieder raus und irgendwo ganz neu anfangen, von ganz vorne. Irgendwo, wo mich niemand kannte. Wo ich eine Chance gehabt hätte.
In den Zellen war es kalt und nass und ich war alleine. Nein - nicht ganz alleine. Ich konnte hinüber sehen, über den Gang hinüber zur Zelle dort. Welch ein Glück, dass ich das konnte! ... Welch ein Glück...
Ich... ja, ich sah dort den alten, schwarzen Mann liegen. In seinen zergebeulten Hosen, seinem ausgefransten Hemd und verkommenen Schuhen lag er dort und schlief, sein silbernes Haar glänzte. Er schlief und als er aufwachte, schaute er herüber und blickte mich an. Seltsam war das, aber es hatte so viel Bedeutung. Seine Augen... sie waren so klar... so weise...
Er fing an zu erzählen, einfach so, aus dem Nichts. Ich hockte in meiner Zelle, war total am Boden und er fing an zu erzählen. Sein ganzes Leben. Er hat mir sein ganzes Leben erzählt. Und dann hat er gelacht. Ist auf die Beine gesprungen, ja, der alte Mann. "Bojangles", hat er gesagt, heißt er. Und dann hat er getanzt. Zwei, drei schnelle Schritte durch die kleine Zelle. Und dann hat er sich auf einmal hingestellt und ist hochgesprungen, aus dem Stand, und hat in der Luft die Hacken zusammengeschlagen. Wie auf Federn kam er wieder auf und hat gelacht. Ja, er hat gelacht und sein Hemd wieder zurecht gerückt. Das war Mr. Bojangles!
Mein Gott, konnte der tanzen!
Und er hat mir sein ganzes Leben erzählt. Wie er durch die Südstaaten getingelt ist, von den fünfzehn Jahren, als er mit seinem Hund überall herumzog. Doch dann ist sein Hund gestorben. Und jetzt, nach zwanzig Jahren, musste er immer noch weinen deswegen...
Nie hat er eine Chance ausgelassen, in einer Tanzkneipe aufzutreten und zu tanzen. Er liebte es zu tanzen und es gab dort immer etwas zu essen und vor allem zu trinken. Ja, er hat oft getanzt dort. Überall.
Aber am meisten saß er wohl doch im Gefängnis... "Weißt du, mein Junge,...", hat er mit brüchiger Stimme gesagt, "Ich hab' oft etwas zu viel getrunken..." Dann hat er den Kopf geschüttelt.
Und in dem Moment - ich könnte schwören - war da diese Stimme, die sagte: "Hey, das ist Mr. Bojangles! Komm zurück, Mr. Bojangles und tanz! Tanz für uns! Bitte, tanz wieder!"
Und Mr. Bojangles lachte. Und dann setzte er sich hin, seufzte und schlief wieder ein... Ich werde den alten Mann nie vergessen. Das war Mr. Bojangles! >>


Anmerkung: "Mr. Bojangles" war der Spitzname Bill Robinsons (ein afroamerikanischer Stepptänzer), der trotz Erfolg und Ruhm im Jahr 1949 als armer Mann in NY starb. Das Lied mit diesem Titel handelt lediglich von einem Imitator. Geschrieben hat es Jerry Jeff Walker 1968, diese Version ist gesungen von Sammy Davis Jr.

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